DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Dominique Poirel, Stemma codicum. La „méthode Froger“ d’édition critique, Turnhout 2022, Brepols, 390 S., Abb., ISBN 978-2-503-57541-4, EUR 60. – Das Buch gibt die ersten drei, theoretischen Kapitel von La critique des textes et son automatisation (1968) des Benediktiners Jacques Froger (1909–1980) neu heraus, situiert den Text und kommentiert ihn und sein Umfeld. Froger gilt zu Recht als ein Pionier der computerisierten Textkritik, doch natürlich war der praktische Teil des Buchs (der hier nicht abgedruckt wird) schnell veraltet. Der Vf. betont, dass der theoretische Teil aber kaum an Bedeutung verloren habe und durch Klarheit und methodische Strenge besteche. Ein erster Teil informiert über das Leben und die textkritischen Arbeiten Frogers (S. 13–38). Seine Arbeit am sehr breit überlieferten Graduale Romanum sensibilisierte ihn für die Probleme abundanter hsl. Überlieferungen. Der Vf. kommentiert dann das Werk und geht insbesondere auf dessen Rezensionen ein. Dann folgen einige Beispiele von Editoren, die sich auf die Methode Froger berufen, darunter der Vf. selber, der mit ihrer Hilfe Texte von Hugo von St. Viktor ediert hat (S. 39–68). Der Vf. rekapituliert kurz Frogers Methode, die auf gewisse Weise die rivalisierenden Methoden von „Lachmann“, Bédier und Quentin vereint. Das wichtigste Merkmal ist, dass Froger zuerst einen nicht-orientierten Baum der Zeugen erstellt („enchaînement“), wobei er alle Varianten zwischen ihnen verwendet, und erst dann mittels seltener „lachmannscher“ Leitfehler diesen Baum orientiert („orientation“) und zu einem Stemma macht (S. 69–115). Die erste Stufe kann heute weitgehend von Software ausgeführt werden (worauf aber nicht eingegangen wird). Ein abschließendes Kapitel evaluiert die Methode und schließt mit einem Lob derselben (S. 117–132). Dann folgt der Abdruck der erwähnten drei theoretischen Kapitel aus Frogers Werk (S. 133–300). Dabei werden zwar die ursprünglichen Seitenzahlen oben auf der Seite angegeben, aber leider nicht, wo die Seitenumbrüche sich befanden. Ein Nachwort geht auf die heutige Relevanz der Methode ein. Terminologisches wird besprochen (so, dass „fautes“ polysem verwendet werde), dann gibt der Vf. ein praktisches Beispiel, wie man die Varianten in MS Word auszählen kann (S. 301–349). Der Band wird durch eine Bibliographie Frogers und einen Namensindex abgeschlossen. Es ist lobenswert, die tatsächlich sehr luzide Einführung Frogers bekannter zu machen. Froger wurde insbesondere außerhalb der frankophonen Welt viel zu wenig rezipiert. Eine englische Übersetzung dieser Kapitel könnte helfen, dies zu verbessern. Das vorliegende Buch bleibt hingegen weitgehend auf die frankophone Welt beschränkt, nur selten wird aus englischsprachigen Publikationen zitiert, nie aus italienisch- oder deutschsprachigen. Es ist schade, dass nicht zumindest einige Worte zu den Fortschritten hinzugefügt sind, die in der „Stemmatologie“ seit Froger gemacht wurden – sowohl theoretischer (besonders aus der italienischen Forschung, z.B. zusammengefasst von Paolo Trovato) als auch praktischer Natur (Methoden, die über MS Word hinausgehen).

Philipp Roelli

(Rezensiert von: Philipp Roelli)