James B. Collins, The French Monarchical Commonwealth, 1356–1560, Cambridge 2022, Cambridge Univ. Press, X u. 309 S., 11 Abb., ISBN 978-1-108-47330-9, GBP 75. – In dem Band, dem ein weiterer für den Zeitraum von 1561–1651 folgen soll, spürt der Vf. den Entwicklungen des politischen Denkens und Vokabulars im spätma. und frühneuzeitlichen Frankreich nach. Im Fokus steht dabei die Formel des Gemeinwohls (bien commun, bien public und weitere Formen): Mit dieser sei eine spezifische, integrative Ausprägung der politischen Gemeinschaft angesprochen, die C. als „commonwealth“ beschreibt und die in der Mitte des 16. Jh. zunehmend dem Vokabular des auf den König bezogenen „Staats“ gewichen sei. Mit der Untersuchung von Texten aus dem Umfeld des Königtums, aber auch aus städtischen Kontexten sowie von lokalen und regionalen Ständeversammlungen, soll die etablierte, stark auf die Ausprägung moderner Staatlichkeit ausgerichtete Deutung aufgebrochen werden, um neue Perspektiven auf die Entwicklung der politischen Vorstellungen zu eröffnen (S. VIIf., 22–28). Ein besonderes Anliegen ist dem Vf. dabei die Rückbindung an konkrete sozio-kulturelle Interessen und Konstellationen. Dass hier die englische Gefangenschaft König Johanns II. von Frankreich nach der Schlacht von Poitiers (1356) als Ausgangspunkt einer neuartigen Dynamik erscheint, wird ebenso wenig überraschen wie weitere Elemente der Darstellung, vom bedeutenden Einfluss herausragender Autoren wie Nicole Oresme, Christine de Pisan oder Jean Gerson bis hin zur energisch zugreifenden Herrschaftspraxis eines Ludwig XI. Die Darstellung ist weitgehend chronologisch angelegt, lediglich der Abschnitt zu den innerstädtischen Debatten (Kap. 5: S. 189–227) bricht diese Ordnung auf. Inhaltlich kann das Werk mit einer Reihe interessanter Beobachtungen und Deutungsansätze aufwarten, zu denen die zeitlich verzögerte Aufnahme der Rede vom bien commun in den Städten zählt (wobei der hoheitlich stärker erfasste französische Norden den Städten des Südens noch vorangeht, S. 204–207) oder auch deren anfänglich markante Rückbindung an den ökonomischen Diskurs (S. 197–204). Zugleich werden mit dem Gegenstand vertraute Leser hier eher neue Nuancen finden als grundsätzliche Neubewertungen. Für ein anderes Publikum erscheint der Band ohnehin weniger geeignet: Grundlegende Beiträge zum Thema werden teils nicht hinreichend herausgestellt (etwa Matthew Kempshall, Common Good, 1999) oder fehlen ganz, wie der von Élodie Lecuppre-Desjardin / Anne-Laure van Bruaene herausgegebene Band De bono communi (2010, vgl. DA 68, 778), der mit Blick auf das genannte Kapitel 5 bedeutsam gewesen wäre. Deutschsprachige Publikationen finden sich, mit Ausnahme der Studie von Neithard Bulst zu den Generalständen (1992, vgl. DA 51, 296), keine. Vor allem aber weist die Darstellung immer wieder verwirrende zeitliche Sprünge und Einschübe auf, während zugleich wichtige Protagonisten und Ereignisse ohne Erläuterung eingeführt werden: So wird Ludwig von Orléans, der jüngere Bruder König Karls VI., auf S. 112 ermordet, aber der eigentliche Kontext erst auf S. 136 erläutert. Hinzu kommen stellenweise recht eigentümliche Wertungen (ob Jean Gerson wirklich DIE treibende Kraft für das Konstanzer Konzil war?; S. 131) und eine ausgesprochen verwirrende Beleg- und Zitationspraxis: Häufig bieten die Fußnoten Sacherklärungen, ohne die Herkunft der Informationen nachzuweisen, und immer wieder zitiert der Vf. aus überraschender Grundlage. Zwar stellte Olivier Delsaux bereits 2012 heraus, dass eine Neuedition von Gersons Vivat Rex (1405) nötig sei, dies erklärt aber kaum die Verwendung eines Drucks aus dem Jahr 1561 (S. 131–135). Ähnlich wird Christine de Pisans Livre de la policie, von dem zwei moderne Editionen existieren, ohne nähere Begründung nach einer Hs. zitiert (S. 130 Anm. 67: „Paris, BNF, Arsenal, Ms 2681“), obwohl der fragliche Satz in den Editionen steht. Bei der Transkription der äußerst sorgfältig ausgeführten Hs. unterlaufen dem Vf. dann auf zwei Zeilen leider gleich zwei Fehler. Über solches und vieles andere stolpert man bei der Lektüre, die zusätzlich durch die Neigung des Vf. erschwert wird, lateinische Kurzzitate in deklinierter Form in seinen Text einzubauen, was zu zahlreichen grammatischen Verwerfungen führt (von wiederholten Fehlern im Lateinischen ganz zu schweigen). Welche Logik die Anlage der Bibliographie diktierte, bleibt schließlich völlig undurchsichtig: In der Rubrik „Gedruckte Quellen“ setzt die Kategorie „Choix de chroniques et mémoires sur l’histoire de France“ mit der Hs. (!) des Avis au Roy in der Pierpont Morgan Library ein (Ms. 456), von der man dann einfach wissen muss, dass sie sich in New York befindet. Später folgen separat „Chronicles, Memoirs, and Journals“, bei denen erneut zunächst Hss. der Grandes Chroniques angeführt werden. Christine de Pisan wurde bei alldem ausgelagert; ihre Werke sind noch vor den Archivmaterialien zu finden. Welche der drei erfassten Editionen der Memoiren des Philippe de Commynes zitiert wird, stellen die Fußnoten wiederholt nicht klar – warum an einer Stelle die veraltete von Dupont (statt Blanchard 2007) referenziert ist, wird nicht ersichtlich. Zahlreiche solcher Idiosynkrasien machen das Werk letztlich schwer zugänglich und weitgehend unbenutzbar. Die Liste wäre zudem problemlos fortzusetzen, etwa mit dem Hinweis, dass manche Quellen (so der zeitgenössische Druck zu den Generalständen in Tours 1484, GW M28372) in den Fußnoten gar nicht bibliographisch erfasst sind. Stattdessen steht ein Link auf archive.org (S. 234, Anm. 24), dessen komplexe Struktur aus einem gedruckten Buch heraus nicht einfach zu reproduzieren ist. Dass all dies das Lektorat eines hoch angesehenen Wissenschaftsverlags bis zum Druck durchlaufen konnte, ist ausgesprochen bedauerlich.
Klaus Oschema
(Rezensiert von: Klaus Oschema)