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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Theodor Ruf, Kloster Neustadt am Main 769 (?) – 1300. Untersuchungen und Regesten (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 80) Würzburg 2022, Echter Verlag, 389 S., Abb., ISBN 978-3-429-05766-4, EUR 39. – Zu einem der ältesten Klöster des Spessarts, der in einigen Bereichen nur ansatzweise erforschten Benediktinerabtei Neustadt am Main, hat R. ein umfassendes Werk vorgelegt. Dieses gliedert sich in zwei Teile, nämlich in „Untersuchungen“ und „Regesten“; der zeitliche Rahmen erstreckt sich von den Anfängen um 769 bis zum Beginn des 14. Jh. Kritisch analysiert der Vf. die Quellen- und Forschungslage, berücksichtigt die archäologische Situation, wobei das Gründungsdatum offen bleiben muss. Als 742 das Bistum Würzburg entstand, waren offensichtlich die geistlichen und weltlichen Grenzen zum Erzstift Mainz weitgehend festgelegt, vom Zentralort Aschaffenburg aus stand der Spessart größtenteils unter der konkurrierenden Herrschaft von Mainz. Nach der Burkardsvita wurde das Kloster von Megingaud, ab 752/53 Bischof von Würzburg, gegründet, wobei Karl der Große als Stifter eine entscheidende Rolle eingenommen haben muss. Die große Klostergemarkung kann nur auf den König zurückgeführt werden. Im Lauf der Zeit wurde die Bindung an das Hochstift Würzburg enger, unter Bischof Friedrich von Wirsberg beispielsweise wurde 1558 das gesamte Klosterarchiv beschlagnahmt und nach Würzburg verfrachtet. Es folgen Ausführungen zum klösterlichen Umfeld in der Gründungsphase, so zu den monastischen Institutionen in Amorbach, Holzkirchen, Karlburg, Schlüchtern und Murrhardt. Schließlich wird das Gründungsprivileg von 794, das ältere Urkunden aufgreift, näher untersucht, weiter werden die Gründungsversionen verschiedener frühneuzeitlicher Chroniken, u.a. der Würzburger Bischofschronik des Lorenz Fries von 1546, diskutiert. R. sieht die Entstehung als Teil einer konzertierten Aktion in der 2. Hälfte des 8. Jh., die vom König unterstützt darauf abzielte, Land und Gesellschaft in „ein gut funktionierendes und auch gerechtes Reich“ zu bringen (S. 109). Die Reihenfolge der Äbte im Zeitraum 769 bis 1306, erarbeitet aus den Urkunden und einem relativ zuverlässigen Katalog, ist, mit mehrfachen Ergänzungen, der verdienstvollen Forschung von Heinrich Wagner verbunden. Schließlich werden die Funktionen des Klosters abgehandelt, religiöse Aspekte thematisiert, Bildung, Bibliothek, Skriptorium, Musik und Medizin in den Blick genommen. Die wirtschaftliche Leistung war darauf ausgelegt, im Konvent nicht mehr als zwölf Priester, zwei Diakone, zwei Subdiakone und vier Schüler zu versorgen; dies bedeutet, dass man im Unterhalt von maximal etwa 40 Personen ausgehen kann. Abgesehen von Getreide und Wein lag um 1350 das Jahreseinkommen nur bei 300 Gulden. Die Fläche der Klostermark war zwar groß, beinhaltete indes jedoch wenig ertragreichen Wald, auf das Jagdrecht erhob auch Würzburg Ansprüche. Ein wichtiger Faktor für die Entwicklung Neustadts war die Lage am Main. Von wirtschaftlichem Interesse war der Mainzoll, der bereits 1155 belegt ist, wobei unklar ist, wer dem Kloster dieses Recht verliehen hatte. Abschließend konstatiert R., dass Neustadt nie wie die Abteien Lorsch oder Fulda zu überregionaler Bedeutung gelangte. Sofern das Kloster in die Missionierung der Sachsen einbezogen war, stellte dies eine nur kurze Episode dar. Immerhin überstand es die Reformation, in der Säkularisation erlosch es ohne Aufsehen. Im zweiten Teil folgen 84 umfassend kommentierte Regesten, die auf einzelne Originale bzw. die ältesten Abschriften zurückgehen. Lag kein verlässlicher Druck vor, wurden Vollregesten erstellt. Die Sprache der Texte ist durchweg Latein. Das zeitliche Ende wurde mit 1300 willkürlich gewählt. Hilfreich zur Überprüfung der Inhalte sind die in die Regesten aufgenommenen Urkundenzitate, die Zeugen werden identifiziert. Die Regesten sind präzise und sachkundig formuliert, auf die Nachweise von Quellen und Druck folgen größtenteils umfangreiche und weiterführende Anmerkungen. Mehrfach stellt der Vf. indes seine eigenen Thesen in Frage. Aus der Urkunde Karls des Großen, dem sogenannten Gründungsprivileg vom Mai 794 (Nr. 2, S. 162–164) – eine wohl um 1140/50 verfasste Fälschung –, geht hervor, dass dieser Megingaud zum ersten Abt ernannte und dem Konvent auf ewig das Recht zugestand, den Abt frei aus den Reihen der Mönche zu wählen. Die beiden frühesten Texte sind dem 8., vier dem 9., sechs dem 10., weitere sechs dem 11., 17 dem 12., 48 dem 13. Jh. und der letzte dem 27. Oktober 1304 zugeordnet. 24 Urkunden des 13. Jh. waren bislang ungedruckt, auch nicht als Regest erfasst: Sie stammen aus den Beständen des Staatsarchivs Wertheim oder dem Würzburger Standbuch 582. Aussteller sind u. a. karolingische, ottonische, salische und staufische Herrscher, ab 1102 Würzburger Bischöfe, dann Äbte und andere geistliche Personen, Papst Coelestin III., die Grafen von Wildberg und Rieneck, zwei Äbtissinen und zwei Frauen namens Irmgard, ein Gottfried von Brauneck, ein Erzbischof von Mainz, ein Erzbischof von Messina und weitere Bischöfe. Der wissenschaftliche Ertrag ist nicht nur für die Geschichte der Abtei, sondern für die früh- und hochma. Geschichte des Spessarts insgesamt beträchtlich. Zahlreiche Farbabbildungen zum Kirchengebäude, zu den Steinreliefs im Innern, von neuzeitlichen Karten zur Klostergemarkung, Seiten aus Hss. und Urkunden sowie von Siegeln der Äbte runden, gefolgt vom umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis sowie dem Orts- und Personenregister, diesen verdienstvollen Band ab. Für künftige Forschungen zum Spessartkloster Neustadt wird das kenntnisreiche Werk grundlegende Dienste leisten.

Ulrich Wagner

(Rezensiert von: Ulrich Wagner)