Petrus Iohannis Olivi, Traktat über Verträge, übersetzt von Peter Nickl, hg., eingeleitet und mit einer Bibliographie versehen von Giuseppe Franco (Philosophische Bibliothek 746) Hamburg 2021, Meiner, CXXXVII u. 238 S., ISBN 978-3-7873-3955-6, EUR 48. – Der Franziskaner Petrus Johannis Olivi gehört zu den Denkern des 13. Jh., deren Originalität und bleibende Aktualität erst relativ spät entdeckt worden ist. Neben seiner bemerkenswerten Abhandlung über die Freiheit (In II. Sent. qu. 57), deren erstmalige deutsche Übersetzung ebenfalls von P. Nickl stammt (2006), gehören auch die so genannte Impetus-Lehre und die Theorie von der reflexiven Struktur der Seele, die unter anderem seinen Personenbegriff prägt, zu seinen innovativen Einsichten. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht haben sich seine ökonomischen Überlegungen zu Preis, Zins und Kapital als wirkmächtig erwiesen. Für die zuletzt genannten Interessen ist der um 1293 verfasste Tractatus de contractibus maßgeblich, der nun erstmalig auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Die in jeder Hinsicht begrüßenswerte Wiedergabe des lateinischen Texts folgt der kritischen Edition von S. Piron (2012) – eine Tatsache, die nur kurz im Vorwort (S. VIII) bzw. in der Einleitung versteckt (S. XXXII) genannt wird, allerdings eine prominentere Heraushebung verdient hätte (Anm. 1, S. 218, ist diesbezüglich missverständlich formuliert, da dort nicht ausdrücklich vom lateinischen Text die Rede ist). Die sehr umfangreiche und teilweise langatmige Einleitung ist aufgrund vieler Wiederholungen und einer gewissen Oberflächlichkeit zumindest für die philosophisch interessierte Leserin nur wenig aussagekräftig. Eine philosophiehistorische Einordnung ist abgesehen von wenigen pauschalen Hinweisen nicht vorhanden. Dies betrifft insbesondere den Abschnitt „Historisch-soziale und intellektuelle Kontexte“, der den Zusammenhang von Ökonomie und Aristotelismus, die rechtshistorischen Quellen Olivis sowie sein „intellektuell-praktisches Projekt“ (S. XLII) – die angebliche „Wiederbelebung christlicher Weisheit in der Kultur“ (S. XLIV) – zum Gegenstand hat, dabei aber sehr vage und teilweise unter Niveau bleibt. Auf die Textgestalt – Form, Aufbau und Methodik – geht die Einleitung nicht ein. Auch der Versuch, die fundamentalen Begriffe und Thesen Olivis herauszuarbeiten und in den Kontext des praktisch-ökonomischen Denkens des MA einzuordnen, entbehrt einer fundierten Kenntnis insbesondere der immer wieder als charakteristisch betonten Verbindung zu moralphilosophischen Fragen und bleibt insgesamt zu weit vom Text entfernt, auf den nur spärlich Bezug genommen wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die wenigen mit infra eingeleiteten Verweise nur schwer gefunden werden können, da es im Textteil versäumt worden ist, die für ein rasches Nachschlagen unentbehrliche Kapitelunterteilung in die Kopfzeilen aufzunehmen. Wer wirklich erfahren will, was und wie Olivi gedacht hat, sollte sich der direkten Lektüre des Texts zuwenden, die dank der flüssigen Übersetzung und der hilfreichen Anmerkungen, von denen man sich mehr gewünscht hätte, angenehm leicht von der Hand geht.
Isabelle Mandrella
(Rezensiert von: Isabelle Mandrella)