Frederieke Maria Schnack, Zwischen geistlichen Aufgaben und weltlichen Herausforderungen. Die Handlungsspielräume der Mindener Bischöfe von 1250 bis 1500 (VuF Sonderbd. 62) Ostfildern 2022, Thorbecke, 761 S., Abb., 6 Beilagen, ISBN 978-3-7995-6772-5, EUR 86. – Die aus einer Diss. bei Oliver Auge hervorgegangene, voluminöse Schrift dürfte, soviel sei schon vorab gesagt, ein Grundlagenwerk für Bistum und Hochstift Minden im Spät-MA für lange Zeit darstellen. Ausgehend von dem aktuellen Diskussionsansatz zu „Handlungsspielräumen“ und deren „Koordinaten“ wendet die Arbeit diesen in entsprechend modifizierter Form auf die Mindener Bischöfe der nachstaufischen Zeit an, um gegen das Diktum Peter Moraws anzuschreiben, derartige Bischöfe seien „handlungsunfähig“ gewesen. Es sind kulturwissenschaftlich motivierte Fragen nach adeligen Netzwerken bzw. Repräsentations- und Legitimationsstrategien, die im Vordergrund stehen. Gefragt wird nach finanziellen Spielräumen, aber auch nach dem Einfluss des Domkapitels und der Bürger der Bischofsstadt Minden. Um wenigstens die wichtigsten Ergebnisse zu nennen: Weltliche wie geistliche Entscheidungen der Bischöfe waren miteinander verflochten, eine exakte Trennung war meist nicht möglich. Die bischöfliche Herrschaft war reglementiert von den Mitspracherechten des Domkapitels, dem Streit mit den Stiftsvögten und der sich emanzipierenden Bürgerschaft der Bischofsstadt. Die Familien der Bischöfe kamen überwiegend aus der Region, dabei lässt sich keine Dominanz bestimmter Adelsgeschlechter feststellen. In jedem Fall war der Bischofsstuhl eine attraktive Möglichkeit, nachgeborene Söhne standesgemäß zu versorgen, auch wenn der zunehmende politische Einfluss der Bischöfe nur auf ihre Herrschaftszeit beschränkt blieb (keine dynastische Erbfolge möglich!). Allerdings ist ein Zusammenhang zwischen den monetären Ressourcen der Bischöfe und ihrer adeligen Herkunft erkennbar. Die eigene Familie diente dem Bischof als „Bündnis- und Wirtschaftspartner“, sofern sie nicht gegen ihn opponierte. Die geringe finanzielle Ausstattung des Bistums zeigte sich eklatant bei den vom Papsttum geforderten Servitien- und Annatenzahlungen bei Neuwahlen. Die Mindener Bischöfe hielten mehrheitlich Distanz zur Kurie und übten ihr geistliches Wirken zurückhaltend aus, etwa bei der Unterstützung von Klostergründungen. Auch lässt sich kaum Königsnähe bzw. Anwesenheit auf Reichstagen nachweisen. Die zunehmende Verschuldung der Bischöfe führte zu einem verstärkten Einfluss des Domkapitels auf die Hochstiftspolitik; sie mussten auf das domkapitelsche Konsensrecht immer mehr Rücksicht nehmen. Die Bürgerschaft Mindens konnte ihre kommunale Unabhängigkeit ausbauen, wodurch es zu einem zunehmenden Ausweichen der Bischöfe auf die Burg Petershagen als Residenzort kam. Überhaupt diente der Burgenbau zur herrschaftlichen Absicherung des Ausbaus des Hochstifts, zu dem auch, trotz hoher Kosten, eine ausgeprägte episkopale Repräsentation bei Bauwerken und in der Kunst gehörte. Anzusprechen wären u.a. das Mindener Hochaltarretabel von „um 1425“ (Krönung Mariens mit zwölf Aposteln) und eine „um 1220“ entstandene Predella mit dem Dompatron Gorgonius und weiteren regional verehrten Heiligen. Ein Vergleich mit dem Eichstätter Hochaltarretabel bietet sich hier an: Im, zumindest liturgisch gesehen, bedeutsamsten Ort der geistlichen Herrschaft stehen an der Altmühl die Bistumsheiligen im Zentrum, flankiert von einem Passionszyklus; eine Apostelgruppe befindet sich im Schrein des Altars. Alles in allem war der Handlungsspielraum spätma. Bischöfe überwiegend auf die Region, also auf Bistum wie Hochstift, ausgerichtet; das Reich spielte keine entscheidende Rolle. Hoher Fleiß und die Liebe zum Detail zeichnen die statistischen Auswertungen zu Familien, zu den Eheverbindungen der Bischofsverwandten, zu geistlichen Ämtern, aber auch zu Servitienzahlungen 1295–1453 aus. Damit ist eine unentbehrliche Grundlage für komparatistische Arbeiten zu vergleichbaren Bistümern und Hochstiften (etwa zu Eichstätt) geschaffen. Eine Liste mit (schwarz-weißen) Abbildungen von Siegeln der 21 Bischöfe und Elekten Mindens schließt diese mehr als verdienstvolle Arbeit ab.
Helmut Flachenecker
(Rezensiert von: Helmut Flachenecker)