Scrivere storia nel medioevo. Regolamentazione delle forme e delle pratiche nei secoli XII–XV, a cura di Fulvio Delle Donne / Paolo Garbini / Marino Zabbia (I libri di Viella 377) Roma 2021, Viella, 354 S., ISBN 978-88-3313-719-3, EUR 38. – Der Band enthält 19 Beiträge zu historiographischen Werken, die in dem im Untertitel genannten Zeitraum in Italien entstanden sind. Insbesondere geht es um literarische Techniken, Autorintentionen, die Herausbildung einer gewissen Professionalität und die Entwicklung der Geschichtsschreibung als literarisches Genre. Er ist unterteilt in drei Sektionen, die jeweils von einer methodologischen Abhandlung eines der drei Hg. eröffnet werden. Die erste Sektion trägt den Titel „Forme di consapevolezza autoriale“; es geht um ein Thema von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Stellung des Geschichtsschreibers zu seinem Werk, wie der einführende Beitrag von Fulvio Delle Donne, Cronache in cerca d’autore: l’autoconsapevolezza come misura della professionalizzazione dello storiografo (S. 13–28), deutlich macht. – Dieses Autorbewusstsein belegen die folgenden Beiträge bei einzelnen Autoren oder in Gruppen von Werken, die in einem bestimmten geographischen Raum entstanden sind. Enrico Faini, Un canonico alla prova del Comune: Tolosano da Faenza nel contesto della storiografia cittadina (S. 29–44), untersucht die Terminologie, derer sich Tolosano bei der Beschreibung der politischen Strukturen seiner Heimatstadt bedient. – Federica Favero, Ripensamenti e modifiche nelle cronache di Galvano Fiamma (S. 45–61), zeichnet Entwicklungslinien in den Mailänder Chroniken des Galvano Fiamma nach, die im Lauf der Zeit sich verändernde Perspektiven und einen sich wandelnden Umgang mit den Quellen erkennen lassen. – Rino Modonutti, Cultura preumanistica e storiografia: Albertino Mussato e Ferreto Ferreti (S. 63–78), beschäftigt sich mit zwei Paduaner Geschichtsschreibern des 14. Jh., die sich bereits ausdrücklich mit klassisch-antiken Modellen auseinandersetzen, speziell mit Livius. – Zwei Beiträge sind der Historiographie der Stadt Pisa gewidmet: Alberto Cotza, Pisa, secoli XI–XII: autori, modelli, testi, testimoni (S. 79–95), und Cecilia Iannella, Pisa, secoli XIII–XIV: autori, modelli, testi, testimoni (S. 97–112), betonen, dass die einzelnen Chroniken jeweils mit bestimmten Intentionen in Reaktion auf die politische Situation der Zeit verfasst wurden. – Davide Cappi, Strategie autoriali nelle cronache volgari del Trecento (S. 113–131), vergleicht Indizien für Autorbewusstsein in einem umfangreichen Corpus von italienischsprachigen Chroniken. – Die zweite Sektion steht unter dem Titel „Forme di uso delle fonti“. Der einführende Aufsatz von Marino Zabbia, Il cronista e le sue fonti alla fine del medioevo (S. 135–152), zeigt am Beispiel einiger Werke der neapolitanischen Chronistik, welche Rückschlüsse der Umgang mit den Quellen auf das Bildungsniveau der Autoren erlaubt. – Jakub Kujawiński, Alle soglie della storiografia. Il codice miscellaneo come forma di scrittura storica nell’Italia meridionale medievale (S. 153–169), bietet methodologische Anregungen für die Untersuchung historiographischer Sammelhss. im Hinblick auf Ordnungskriterien, auf die Eigenarten der Kompilatoren und ihre Vorgehensweise. – Sara Crea, La costruzione di una cronaca: Francesco Pipino e le sue fonti (S. 171–184), diskutiert die Rolle Pipinos als Autor seiner Chronik. Pipino selbst definiert sich als actor und setzt ein breitgefächertes Quellenmaterial bewusst für seine Intentionen ein. – Marek Thue Kretschmer, La Historia Romana e i marginalia del codice Vat. Lat. 1984 (S. 185–200), stellt eine einzigartige Sammelhs. vor, eine Kompilation zur römischen Geschichte auf der Grundlage verschiedener, miteinander verwobener Quellen, ergänzt um eine ausufernde, tiefdringende Glossierung, deren Herkunft nicht immer klar ist. – Francisco Bautista, Passato medievale e prassi storiografica moderna: Jerónimo Zurita, fonti documentarie e tradizione umanistica (S. 201–218), illustriert, wie Zurita, schon weit im 16. Jh., dokumentarische Quellen einsetzt, um die Zuverlässigkeit der ma. Chroniken zu überprüfen, die ihm zur Verfügung standen. – Die dritte Sektion widmet sich unter dem Titel „Forme della parola“ vor allem Entwicklungen im Stil der Chroniken. Die methodologische Einführung von Paolo Garbini, La forma del tempo (S. 221–235), betont die untrennbare Verbindung zwischen Geschichtsschreibung und Rhetorik, die mit der Durchsetzung Sallusts als Modellautor noch verstärkt wurde. – Benoît Grévin, Scrivere la storia all’epoca dell’ars dictaminis: riflessioni sulle scelte stilistiche nell’Italia del Duecento (S. 237–254), untersucht den Einfluss zeitgenössischer Praxis und formaler Vorgaben insbesondere aus der ars dictaminis auf die Geschichtsschreibung. – Marco Petoletti, Scrivere la storia in poesia nella prima metà del Trecento: il caso Venezia (S. 255–270), präsentiert vier kurze Gedichte über historische Ereignisse mit Bezug auf Venedig und unterstreicht ihre Bedeutung sowohl für die Rekonstruktion der erzählten Begebenheiten als auch als Beispiele für das Niveau der Literatur im nördlichen Italien in dieser Zeit. – Carole Mabboux, Trascrivere il discorso nelle cronache: rielaborazioni narrative dell’oralità (secoli XIII–XIV) (S. 271–285), untersucht den Einschub von Passagen in direkter Rede in einer Gruppe von Chroniken aus Florentiner Umfeld und identifiziert Funktion, Strategien und rhetorische Stilisierung. – Chiara De Caprio, Forme e dimensioni autoriali nella cronachistica del medioevo volgare italoromanzo: Firenze, la Toscana e il Regno (S. 287–304), greift das Thema der Auktorialität in den volkssprachigen Chroniken wieder auf und legt ein Raster von hilfreichen Parametern für ihre Erforschung vor. – Pietro Colletta, La storiografia del XIV e XV secolo in Sicilia (S. 305–319), skizziert eine Geschichte der Historiographie auf der Insel und rekonstruiert die Verflechtungen zwischen den verschiedenen nacheinander entstandenen Werken. – Martina Pavoni, Professionalizzazione e formalizzazione della scrittura storica nelle Rerum Ungaricarum Decades di Antonio Bonfini (S. 321–336), zeigt, dass sich gegen Ende des 15. Jh. schon präzise Regeln für die Komposition eines historiographischen Werks etabliert hatten, die durch die theoretischen Schriften der Humanisten propagiert wurden. – Zusammengenommen bietet der Band mit seinen zahlreichen originellen Anregungen auch auf methodologischer Ebene einen breiten Überblick über die Chronistik als Literaturgattung, eine notwendige Voraussetzung, um den Wert der Texte als historische Quellen korrekt einzuschätzen.
Paolo Chiesa (Übers. V. L.)
(Rezensiert von: Paolo Chiesa)