Löwe, Wölfin, Greif. Monumentale Tierbronzen im Mittelalter, hg. von Joanna Olchawa (Object Studies in Art History 4) Berlin / Boston 2020, De Gruyter, 238 S., zahlreiche Abb., ISBN 978-3-11-061516-6, EUR 39,95. – Die zehn in einen gattungsübergreifenden und einen fallstudienbezogenen Teil gegliederten Beiträge, die auf eine interdisziplinäre Tagung des Deutschen Studienzentrums in Venedig (2017) zurückgehen, nehmen eine so rare wie prominente, gehäuft als Herrschafts- und Rechtszeichen beanspruchte Denkmälergruppe aus Antike und MA in den Blick. Methodischer Leitfaden ist das kulturhistorische Konzept der Objektgeschichte, die das Gebrauchsangebot des materiellen Artefakts mit den sukzessiven Stadien seiner Aneignungen zu einer „objektbiographischen“ Einheit verbindet. Aus historischer Sicht hervorzuheben sind: Die Kunsthistorikerin Joanna Olchawa (S. 61–89) gibt einen materialreichen Überblick über das sehr heterogene schriftliche und materielle Überlieferungsspektrum antiker und ma. Tierbronzen, an die sich vielfach die Vorstellungen von Dauerhaftigkeit, Rom-Bezug und apotropäischer Magie anlagerten. Ein besonderes Augenmerk gilt den beiden literarisch am häufigsten imaginierten und für ihre täuschende Lebendigkeit gerühmten Bronzetieren der Antike, der Kuh des Myron und dem Stier des Tyrannen Phalaris von Agrigent. Der Historiker Romedio Schmitz-Esser (S. 93–120) sieht in der Aufstellung der im Kern antiken, als Stadtsymbol Venedigs adaptierten Großbronze des geflügelten Markuslöwen auf der vor 1283 errichteten Säule an der Mole der Piazzetta die Absicht, zusammen mit der benachbarten, gleichzeitigen „Todaro“-Säule eine festliche Rahmung des wichtigsten, seeseitigen Stadteingangs zu bilden. Den Ursprung dieser Inszenierung bindet der Vf. zurück an die unter dem Dogen Sebastiano Ziani (1172–1178) als Bühne für das Großereignis des Friedensschlusses von Venedig 1177 initiierte Anlage des Markusplatzes, zu deren Ausstaffierung zwei Standartenmasten an der Mole gehörten. Die Restauratorin der Kapitolinischen Wölfin, Anna Maria Carruba (S. 121–164), stellt erneut, nun erstmals auf deutsch, ihre 1997–2000 gewonnenen kunsttechnologischen Argumente zugunsten ihrer spektakulären, vieldiskutierten Neudatierung dieses Wahrzeichens des antiken Rom in das MA vor, ohne aber zufriedenstellend über die zwischenzeitliche, gerade in Italien heftige Forschungsdiskussion zu informieren. Sie gibt einen breiten Quellenüberblick über die Geschichte der traditionell mit der lupa Capitolina identifizierten, seit dem frühen 9. Jh. am Lateran als Rechtssymbol bezeugten Tierplastik, will sich jedoch auf keinen konkreten geographischen und zeitlichen Entstehungsraum der Kapitolinischen Wölfin südlich oder nördlich der Alpen zwischen dem 9. und dem 14. Jh. festlegen. Der MA-Archäologe Sebastian Ristow (S. 165–179) stellt neue archäometrische Befunde der heute in der Domvorhalle aufbewahrten, ursprünglich zu einer antiken Jagdgruppe gehörenden Aachener Bärin vor, die nach gängiger Ansicht in der Deutung als Wölfin bereits unter Karl dem Großen als Signum eines Rombezugs innerhalb des neuen Aachener Pfalzkomplexes aufgestellt war, ohne dass eine erst spätere Translozierung und Umarbeitung zu einer Brunnenfigur auszuschließen ist. Das seit 2010 laufende Großprojekt einer archäologischen Neusondierung des Geländes brachte, so das vorsichtige Fazit des Vf., keine belastbaren Indizien für die Frage nach Datierung, Ort und Funktion der ursprünglichen Inszenierung der Antike in Aachen. Joanna Olchawa (S. 181–200) behandelt die wenig bekannte, hier wesentlich früher als bisher um 1220–1230 datierte Großbronze eines Greifen (Goslar, Museum in der Kaiserpfalz), die seit 1289 in sekundärer Verwendung den Giebel der nach einem Brand wiedererrichteten Goslarer Kaiserpfalz bekrönte. In seiner von der antiken Naturkunde überlieferten Eigenschaft als Entdecker und Hüter kostbarer Metalle könnte der sagenhafte Wundervogel speziell für die Erzbergbaustadt entstanden sein.
Albert Dietl
(Rezensiert von: Albert Dietl)