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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Our Medieval City! The First Jewish Community in Vienna, published by Astrid Peterle / Adina Seeger / Domagoj Akrap / Danielle Spera, Catalogue editors: Caitlin Gura-Redl / Agnes Meisinger, Wien 2021, Böhlau, 190 S., 97 Abb., ISBN 378-3-205-21201-0, EUR 25. – Verbunden mit der Eröffnung der neu konzipierten Dauerausstellung des Museums Judenplatz, eines Ablegers des Jüdischen Museums Wien, erschien der an eine breite internationale Leserschaft gerichtete Band mit zwölf kurzen, überwiegend von Experten verfassten Texten zur Geschichte der ma. jüdischen Gemeinde Wiens und des Judenplatzes sowie zur Entstehung und Entwicklung des dortigen Museums. Der Titel des Buchs lehnt sich an eine frühere Dauerausstellung im Jüdischen Museum Wien an („Our City! Jewish Vienna – Then and Now“) und soll eine Verbindung herstellen zwischen den Juden, „die Wien ihre Heimat nannten“, dem Standort und den Räumlichkeiten des Museums Judenplatz sowie den Besuchern der Ausstellung (S. 29). Nach einem kurzen Überblick über die weitgespannte Thematik durch Danielle Spera (S. 6–19), bis Juni 2022 Direktorin des Jüdischen Museums Wien, erläutert dessen Chefkuratorin Astrid Peterle (S. 20–33) das unter ihrer Ägide entstandene Ausstellungskonzept. Es repräsentiert insbesondere den aktuellen Forschungsstand, soll darüber hinaus aber auch einige Mythen entlarven und die spezifisch jüdische Perspektive berücksichtigen. Eine knappe Zusammenschau der ma. Geschichte der jüdischen Gemeinde Wiens bietet Anna Lidor-Osprian (S. 34–45). Dem schließt sich ein Abriss über die archäologischen Forschungen seit 1995 von Paul Mitchell (S. 46–57) an, der interessante Details zur Baugeschichte der Synagoge liefert. In diesem Zusammenhang sei auch auf M.s höchst anschauliche Rekonstruktionszeichnungen der nach der Verfolgung von 1420/21 zerstörten Synagoge (S. 14 und 25) und die Abbildungen der 3D-Vorlage für das Modell der ma. Stadt Wien (S. 6) verwiesen. Den jüdisch-christlichen Beziehungen im ma. Wien einerseits und den Frauen im dortigen Judenviertel andererseits widmen sich mit Eveline Brugger / Birgit Wiedl (S. 64–73) sowie mit Martha Keil (S. 78–85) drei Spezialistinnen vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs. Die Wiener Gesera, die Verfolgung und Vertreibung der Wiener Juden in den Jahren 1420/21, deren Ursachen nicht monokausal erklärt werden können, wird auf innovative Weise abgehandelt, indem vier – respektive fünf – Wissenschaftler auf Fragen zu dem einschneidenden Ereignis antworten und es aus teils unterschiedlichen Perspektiven in den Blick nehmen (S. 103–109). Das Problem des Antisemitismus und seiner ma. Wurzeln greift die Cambridger Historikerin Nora Berend (S. 112–121) in einem nicht unmittelbar die jüdische Gemeinde Wiens betreffenden Aufsatz auf. Ein in Krems gefundenes Keramikaquamanile des 14. Jh. in Form eines männlichen Juden ist Gegenstand von Thomas Kühtreiber (S. 90–97). Allerdings wird der Bezug des sicherlich einzigartigen, im Museum in Krems aufbewahrten Objekts zur Wiener Ausstellung nicht klar. Gänzlich deplaziert wirkt – selbst in einem nichtwissenschaftlichen Band – der Beitrag von Siegrid Schmidt, From Der kleine Ritter Trenk to Game of Thrones. The Middle Ages for all age Groups (S. 122–131). Dieser hat weder einen Bezug zur jüdischen Geschichte noch zum MA. Zeitlich über den „Tellerrand“ hinaus schaut Domagoj Akrap (S. 132–145), Kurator am Jüdischen Museum Wien, indem er die auf Einzelprivilegierungen beruhende Siedlung von Juden in Wien von der Gesera bis zur Wiederansiedlung einer jüdischen Gemeinde um die Mitte des 16. Jh. in den Blick nimmt. Diese Thematik spiegelt sich im Ausstellungskonzept wider, indem der letzte Ausstellungsraum der jüdischen Geschichte des 15. und 16. Jh. vorbehalten ist (vgl. S. 28). Der abschließende Textbeitrag von A. Peterle (S. 152–167) schildert die Historie des Judenplatzes von der Gesera bis zur Entstehung des Denkmals für die verfolgten Juden. Damit knüpft sie an ihren einleitenden Aufsatz an und schafft so gewissermaßen einen Rahmen für die übrigen Abhandlungen. Insgesamt bietet der reich illustrierte Band dem interessierten Laien die Möglichkeit, die in der Ausstellung behandelten Themen zu vertiefen.

Jörg R. Müller

(Rezensiert von: Jörg R. Müller)