Carsten Pape, The Early Danish-Muscovite Treaties, 1493–1523. Texts, Contexts, Diplomacy, Aarhus 2022, Aarhus Univ. Press, 189 S., Abb., ISBN 978-87-7219-405-9, DKK 249,95. – Die Publikation konzentriert sich auf eine wissenschaftlich bisher kaum beachtete Allianz, nämlich das 1493 zwischen dem König von Dänemark und Norwegen (gleichzeitig auch Herzog von Schleswig und Holstein) und dem Großfürsten von Moskau geschlossene Bündnis, in dem sich die beiden Fürsten in Freundschaft (amicitia) miteinander verbanden und sich gegenseitig Hilfe gegen die Feinde des jeweils anderen zusicherten (nostrum auxilium contra suos hostes et inimicos). Johann (1455–1513) und Iwan III. der Große (1440–1505) schlossen in diesem Jahr einen Vertrag, der die Grundlage für die beiden Folgeverträge von 1506 und 1514/16 bildete – nun unter den Nachfolgern Christian II. (1481–1559) und Vasilij III. (1479–1533). Gleichzeitig stellte der Vertrag den Auftakt zu rund 50 diplomatischen Missionen zwischen Kopenhagen und Moskau dar, die in den folgenden drei Jahrzehnten, bis 1523, durchgeführt werden sollten: In diesem Jahr wurde Christian II. durch eine Adelsrebellion im eigenen Land abgesetzt, und die diplomatischen Beziehungen zwischen Kopenhagen und Moskau endeten fürs erste. Unter Iwan dem Großen, der seit 1462 regierte, stieg das Russische Reich zu einer (ost)europäischen Großmacht auf. Insgesamt konnte Iwan III. in den 45 Jahren seiner Herrschaftszeit das Gebiet, das Moskau unterstand, vervierfachen. Iwan versuchte – zunächst mit nur mäßigem Erfolg – prestigeträchtige ausländische Partner um sich zu scharen, um seinen souveränen Status festzuschreiben. In diesem Kontext könnten auf den ersten Blick auch die von dem bereits durch mehrere Vorgängerpublikationen ausgewiesenen Vf., einem Experten für russische Geschichte, analysierten und rekonstruierten Dokumente zu sehen sein. Zwei noch ältere Verträge ähnlicher Art zwischen Iwan III. und Matthias Corvinus von Ungarn (1482) und zwischen Iwan und Kaiser Maximilian I. (1490) bezieht P. ebenfalls in seine Analyse mit ein. Die im Dänischen Nationalarchiv überlieferten Texte wurden bisher nur unsystematisch behandelt und nie zusammen publiziert. Besonders hinsichtlich ihrer sprachlichen Merkmale und der Frage, inwieweit sie den typischen europäischen Urkunden der Zeit entsprechen oder von ihnen abweichen, wurden sie bislang überhaupt nicht untersucht. Ein Grund dafür dürfte die Sprachenvielfalt des Korpus sein: Verträge mit Moskau bestanden stets aus Texten verschiedener Sprachen. Die Texte werden bei P. nun in einer neuen kritischen Edition mit ausführlichen Kommentaren und einer Übersetzung der lateinischen und russischen (kyrillischen) Texte ins Englische zusammengestellt. Die Publikation gliedert sich in vier Hauptteile. P. führt zunächst in die Grundlagen der europäischen Diplomatie um 1500 sowie die Unterschiede zu Moskauer Gepflogenheiten ein und beschreibt die archivalische Überlieferungssituation: Nicht zu jedem der betrachteten Verträge sind die historischen Originale erhalten, sondern manchmal nur Konzept- oder Begleitschreiben, anhand derer es P. gelingt, den prozessualen Charakter der Vertragsanbahnungen nachzuvollziehen. Es folgt das Herzstück der Publikation, die Texttranskriptionen und Übersetzungen ins Englische (S. 91–121) sowie eine Rekonstruktion der verlorenen Originale, die P. auf der Basis der intertextuellen Referenzen zwischen den verschiedenen Vertragswerken zu besorgen versucht, über deren Sinn und Nutzen man freilich streiten kann. P. gelingt es nachzuweisen, dass die Initiative zu den skizzierten Allianzen von den westlichen Bündnispartnern ausging, denn auch in ihren geopolitischen Planungen spielte Moskau eine zentrale Rolle. Besonders bemerkenswert ist hierbei die konfessionelle Konstellation: Dass eine westliche Macht wie das vorreformatorische, katholische Dänemark diplomatische Beziehungen zu Andersgläubigen aufnahm, war keineswegs selbstverständlich. Die Russen galten im westeuropäischen Diskurs als gefährliche Schismatiker und Häretiker, die danach trachteten, das Christentum zu zerstören. Allein durch die erwähnten prominenten Vorgänger von 1482 und 1490 sowie den proklamierten Vorsatz, die fremden Vertragspartner im Zuge der hauptsächlich politisch und wirtschaftlich motivierten Kooperation zur Konversion bewegen zu wollen, konnten derlei Initiativen vor den fürstlichen Glaubens- und Standesgenossen legitimiert werden. Durch den Schwerpunkt auf der sprachlichen Analyse vermag P. unter anderem auch überzeugend herauszuarbeiten, wer Form und Inhalt der Verträge tatsächlich dominierte: Während die russischsprachigen Texte durch in dieser Sprache übliche Standardwendungen gekennzeichnet sind, springen in den dänischen (lateinischen) Texten Neologismen oder im Lateinischen zumindest ungebräuchliche Wortkombinationen ins Auge. Sie sind ganz offensichtlich Übersetzungen ihrer russischen Pendants. P. argumentiert logisch, dass die Dominanz bei den Verhandlungen von demjenigen ausgegangen sein muss, aus dessen Sprache die Standardterminologie stammt: Die Moskauer Partei diktierte den dänischen Partnern ihre Vorstellungen und wählte dabei Worte „from its own linguistic arsenal“ (S. 126) – die dänische Seite übersetzte lediglich. Dieser linguistische Zugang zu den Quellen erweist sich als überaus aufschlussreich, und P.s diesbezügliche Interpretationen sind schlüssig und überzeugend. Seine kritischen Anmerkungen zu den kyrillischen Texten sind gerade für west- und außereuropäische Forscher hilfreich, weil darin u.a. die ma.-neuzeitlichen Gepflogenheiten des russischen Urkundenwesens erläutert werden, z.B. Datierungsfragen, Anreden, gebräuchliche Begriffe und Abkürzungen in den Diplomata bzw. auf Siegeln und deren Entwicklungsgeschichte. Wenngleich in der Publikation bereits einige wichtige Fragen gestellt und beantwortet sowie bemerkenswerte Thesen formuliert werden, bietet das hier edierte Quellenmaterial der zukünftigen Forschung verschiedenster Richtungen eine Fülle weiterer Ansatzpunkte und Auswertungsmöglichkeiten.
Andreas Flurschütz da Cruz