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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Els De Paermentier, Schrift in dienst van de macht. De grafelijke kanselarij in Vlaanderen en Henegouwen (1191–1244) (Schrift en Schriftdragers in de Nederlanden in de Middeleeuwen 7) Hilversum 2021, Verloren, 343 S., 41 Abb., ISBN 978-90-8704-941-6, EUR 39. – Flandern war im 12. und 13. Jh. verhältnismäßig wohlhabend und dicht besiedelt. Die Regierung der Grafen von Flandern (die 1191–1206 auch im Hennegau regierten) gilt als „effizient“ und „fortschrittlich“ – trotz der permanenten Auseinandersetzungen mit den benachbarten Fürsten in Holland, Frankreich und England. Die zahlreich überlieferten Urkunden, die im Namen der Grafen von Flandern (und des Hennegau) oder für diese angefertigt wurden, waren immer wieder Gegenstand von Forschungen und Editionen – überwiegend an der Univ. Gent. Dabei wurde die Frage nach einer physisch vorhandenen gräflichen Kanzlei immer wieder neu gestellt und nie endgültig beantwortet. In der Genter Diss. wird die gräfliche Kanzlei nicht als ein ständiges Amt verstanden, sondern als ein Netzwerk von zuverlässigen clerici (Laien und Geistlichen) in der unmittelbaren Umgebung des Grafen, die für die Anfertigung von Urkunden herangezogen werden konnten. Die gut geschriebene Arbeit bringt viel Neues ans Licht. Dank der Verfügbarkeit der Datenbank Diplomata Belgica (früher Thesaurus Diplomaticus) war die Ausgangslage weit besser als die der früheren Genter Urkundenstudien. Diplomata Belgica enthält Angaben zu mehr als 35.000 (!) Urkunden, die sich auf das Gebiet des heutigen Belgien beziehen; 1113 davon wurden im Zeitraum 1191–1244 ausgestellt im Namen der Grafen und Gräfinnen von Flandern und Hennegau. 608 digitalisierte Urkunden aus diesem Corpus sind in der vorliegenden Diss. Gegenstand einer „dictaatanalyse“. Ziel dieser Analyse ist es festzustellen, welche dieser 608 Urkunden in den gräflich flämischen Kanzleien entstanden sind. Im Ergebnis konnten 393 von 608 Urkunden (65 %) der gräflichen Kanzlei zugeschrieben werden. Die „dictaatanalyse“ besteht im Wesentlichen in einer Untersuchung und Erfassung der in den unterschiedlichen Teilen der Urkunden (Invocatio, Intitulatio, Notificatio usw.) formelhaft verwendeten Textbausteine. So entsteht ein halbwegs kohärentes Bild der Gewohnheiten der flämischen Kanzlei bei der Ausfertigung von Urkunden. Hilfreich ist dabei der Umstand, dass ein Teilcorpus aller Wahrscheinlichkeit nach in der hennegauischen Kanzlei entstanden ist, wo einzelne, offensichtlich hauseigene Traditionen im Zeitraum der flämischen Grafen beibehalten wurden. Die „dictaatanalyse“ wird durch eine Identifizierung der in der Kanzlei tätigen, zum Teil namentlich bekannten Schreiber ergänzt. Verschiedene nicht signierte Urkunden können durch Schriftvergleich dem einen oder anderen namentlich bekannten Schreiber zugewiesen werden. Im Ergebnis können 26 Schreiberhände identifiziert werden. Einleuchtend sind auch die Darstellungen der Aufgaben der Personen, die in der gräflichen Kanzlei in unterschiedlichen Funktionen für den Grafen tätig waren. Hier wird klar, wie die Kanzlei am Hof funktionieren konnte und wie sie sich im relevanten Zeitraum weiterentwickelte. Die 41 Abbildungen zeigen überwiegend Schriftproben. Der paläographisch interessierte Leser kann nur staunen über die Vielfalt der verwendeten Schriften, von denen einige auffallend englisch aussehen. Offensichtlich wurde keine Vereinheitlichung der Urkundenschriften angestrebt. Im Umkehrschluss bedeutet dieser Befund, dass die Schrift kein Kriterium für eine Zuschreibung einer Urkunde an die gräfliche Kanzlei sein kann – wenigstens nicht in Flandern.

Eef Overgaauw

(Rezensiert von: Eef Overgaauw)