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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,2 (2023) *.

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Philip Zimmermann, Armut und Bischofsherrschaft. Bischöfliche Fürsorge in der Merowingerzeit (VuF Sonderbd. 63) Ostfildern 2022, Jan Thorbecke, 266 S., ISBN 978-3-7995-6773-2, EUR 38. – Die Studie wurde 2017 unter Betreuung von Sebastian Scholz als Diss. an der Univ. Zürich abgeschlossen und reiht sich in die Bemühungen von Scholz ein, die Merowingerzeit wieder stärker ins Blickfeld der Forschung zu rücken. Sie ist ebenso ein weiterer Beleg für das neuere Interesse an der Armenfürsorge im Kontext der Geschichte des Christentums. Z. strukturiert seine Darstellung klar. Nach einer ausführlichen Einleitung, die auch die Quellenbasis genau erläutert und reflektiert, schließt sich ein ausführliches begriffsgeschichtlich orientiertes Kapitel zum frühma. Armutsbegriff an (S. 25–92). Das umfangreiche dritte Kapitel (S. 93–197) widmet sich den Grundlagen und der Begründung bischöflicher Armenfürsorge, wozu der Vf. einerseits auf die Bibel und einige ausgewählte Kirchenväter zurückgreift. Andererseits rekonstruiert er hier umfassend die rechtlichen Grundlagen sowohl im weltlichen als auch im Kirchenrecht. Hinzu kommt ein Unterkapitel, das die Verankerung der Armenfürsorge im Bischofsbild untersucht. Wesentlich kürzer fallen die beiden folgenden Kapitel aus, die sich der Organisation der bischöflichen Armenfürsorge (Kap. IV, S. 199–217) bzw. der Funktionalisierung und argumentativen Verwendung der Armenfürsorge durch die Bischöfe (Kap. V, S. 219–233) zuwenden. Eine äußerst knappe „Schlussbetrachtung“, das Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Ortsregister beschließen den Band. Die ganze Studie ist quellenorientiert und aus den Quellen heraus entwickelt. Sie berücksichtigt ein breites Spektrum an Quellentypen, wobei die Werke Gregors von Tours sowie die des Venantius Fortunatus im Mittelpunkt stehen, doch finden auch die merowingischen Synoden breite Beachtung. Z. weiß um die Grenzen der von ihm herangezogenen Quellen und die Problematik ihres nicht gesicherten Realitätsgehalts. Er arbeitet mit den bekannten Editionen, die er häufig sehr ausführlich wörtlich zitiert: im Haupttext in von ihm selbst erstellter deutscher Übersetzung oder Paraphrase, in den Fußnoten im lateinischen Original. Was zu begrüßen ist, wenn es sich um schwer zugängliche Quellen handelt, erweist sich hier aufs Ganze gesehen als nicht unproblematisch. Quellen werden trotz guter Editionen vielfach überlang zitiert (vgl. z.B. S. 156f. mit Anm. 559), und selbst Bibelzitate paraphrasiert der Vf. nicht selten ausführlich und bietet dann auch noch den lateinischen Text der Vulgata in den Fußnoten, ohne dass ersichtlich würde, worin der Mehrwert jeweils besteht. Auf der Grundlage seiner sehr guten Quellenkenntnis weist Z. in aller Deutlichkeit nach, dass Armenfürsorge im Bischofsbild der Merowingerzeit einen hohen Stellenwert hatte und Bischöfe in den untersuchten Quellen als wesentliche Akteure einer breit gefächerten Hilfstätigkeit erscheinen, die über den engen Kreis der wirtschaftlich Bedürftigen hinausreichte. Ob die Armenfürsorge der Bischöfe – wie von Z. im letzten Absatz seiner Schlussbetrachtung thesenhaft formuliert – in der Merowingerzeit weit über diejenige in der Karolingerzeit hinausging, bedarf einer gründlichen Klärung. Sie müsste auch die bischöfliche Armenfürsorge in der christlichen Spätantike berücksichtigen. Trotz eines umfangreichen Literaturverzeichnisses ist die Auseinandersetzung mit der Fachliteratur bei Z. nur schwach ausgeprägt, was nicht zuletzt für die Arbeiten gilt, die im früheren Trierer SFB 600 bzw. in seinem Kontext entstanden sind. Auch die äußerst gehaltvolle Studie von Thomas Sternberg (vgl. DA 49, 352f.), die den gleichen Untersuchungsraum und -zeitraum umfasst und sich in größeren Teilen ebenfalls mit der bischöflichen Armenfürsorge beschäftigt, wird nicht ausreichend gewürdigt. Die zugegeben nicht zentralen Kapitel zur Bibel und Patristik, die Z. jedoch selbst als Grundlage für die Quellen der Merowingerzeit ansieht, fallen dürftig aus, kontextualisieren sie die Texte doch kaum, sind inhaltlich wenig strukturiert, ignorieren Spannungsbögen in den Texten ebenso wie teilweise wichtige Forschungsdebatten und lassen auch kaum erkennen, welche organisatorischen Grundlagen die alte Kirche in der Armenfürsorge schuf, an die in der Merowingerzeit gegebenenfalls angeknüpft werden konnte (z.B. Xenodochien). Trotz dieser kritischen Hinweise überwiegt die Freude über eine Vielzahl von differenzierten Einzelergebnissen, welche die Forschung bereichern, auch wenn sie nicht völlig überraschend ausfallen.

Bernhard Schneider

(Rezensiert von: Bernhard Schneider)