Robert F. Berkhofer III, Forgeries and Historical Writing in England, France, and Flanders, 900–1200 (Medieval documentary cultures) Woodbridge 2022, The Boydell Press, XI u. 331 S., Karten, ISBN 978-1-78327-691-2, GBP 75. – B. behandelt ein altbekanntes Thema der Mediävistik: die Frage nach der Rolle von Fälschungen in der monastischen Welt des MA. Dazu betrachtet er drei ausgewählte Beispiele aus verschiedenen Regionen Europas: die Abteien St. Peter in Gent und St-Denis vor den Toren von Paris sowie das Kapitel von Christ Church in Canterbury. Anhand dort entstandener Dokumente, die schon regelmäßig Gegenstand historischer Forschungen waren, versucht er eine veränderte Perspektive auf das Phänomen der klösterlichen Fälschungen. Auf eine allgemeine Einleitung (S. 3–15) folgt ein Forschungsüberblick sowie eine Problematisierung des Gegenstands (S. 16–47). Letztere besticht durch eine ausführliche Bezugnahme auf Definitionen und begriffliche Abgrenzungen zu verwandten Termini wie beispielsweise Fiktion (S. 44). Durchgehend kommt B. häufig auf die Abgrenzung zwischen fabula und historia bei Isidor von Sevilla zu sprechen (vgl. S. 10), die er als prägend für die Zeitgenossen und deren Einstellung gegenüber Fälschungen erachtet. Die drei Fallbeispiele und deren Auswertung (S. 51–202) nehmen den Großteil des Werks ein. Zu Beginn dokumentiert der Vf. anhand des Genter Liber traditionum (S. 53–101), wie dessen Autor eine ältere dokumentarische Quelle erweiterte und fortführte, um damit in einen lokalen Konflikt mit konkurrierenden monastischen Institutionen zu Gunsten seines Klosters einzugreifen. Im Fall des Klosters St-Denis ist nicht selten von einer regelrechten Fälscherwerkstatt die Rede. B. konzentriert sich hier (S. 102–149) auf die Erstellung zahlreicher Pseudo-Originale aus merowingischer und karolingischer Zeit, die während des 11. Jh. in einem Dossier gesammelt wurden. Wie in Gent waren es lokale Streitigkeiten um Kompetenzen (hier mit dem Bischof von Paris), die die Mönche dazu veranlassten. Der Vf. betont die besonderen handwerklichen Fähigkeiten und den Aufwand, mit dem die Dokumente erstellt und antikisiert wurden. Ähnliches gilt für das Kapitel von Christ Church in Canterbury (S. 150–187) und das verlorene anglo-normannische Chartular, das anhand von späteren Teilabschriften rekonstruierbar ist. Mithilfe des Klosterarchivs gelang es den Mönchen, Dokumente zu kreieren, die aktuelle Rechte und Besitztümer aus der Vergangenheit heraus zu legitimieren versuchten. Der dritte Teil (S. 205–286) konzentriert sich auf die äußeren Umstände, die Fälscherwerkstätten begünstigten, und das Handwerkszeug, das für den Erfolg der Fälscher nötig war. Hier verlagert sich der Betrachtungszeitraum ins ausgehende 12. Jh., das der Vf. als eine Zeit charakterisiert, in der es einerseits zu verstärkten Maßnahmen zur Verhinderung von Fälschungen kam, und in der andererseits die Fälscher neue Wege gehen mussten, um sich neuen Herausforderungen anzupassen. Dieser Gedanke wird in den Schlussbetrachtungen (S. 287–298) nochmals bekräftigt, wenn B. darlegt, wie Fälscher ihren Dokumenten ein neues Maß an Plausibilität verleihen mussten, damit diese als „authentisch“ gelten konnten. Ihm ist ein erfreulich leicht zu lesendes Werk gelungen, das mit einem originellen Blick auf ein altvertrautes Thema schaut. Die Einbeziehung der Mentalitätsgeschichte sowie die Diskussion der materiellen, handwerklichen Voraussetzungen von Fälschungen geben der Darstellung eine beachtliche Tiefe. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Ansatz noch auf weitere Fallbeispiele ausgeweitet wird, um B.s Thesen einer Überprüfung zu unterziehen.
Denis Drumm
(Rezensiert von: Denis Drumm)