Patrick Bouvart, Les prieurés de Fontevraud dans le diocèse de Poitiers. Conditions d’implantation, topographie monastique et évolution (Archéologie & culture) Rennes 2021, Presses Univ. de Rennes, 220 S., Abb., ISBN 978-2-7535-8325-2, EUR 35. – Die Abtei Fontevraud wurde im Jahr 1101 von Robert d’Arbrissel, apostolischem Prediger, und Pierre II., Bischof von Poitiers, gegründet. Die Abtei festigte in den nachfolgenden 50 Jahren ihre Position innerhalb der Diözese Poitiers mit der Errichtung von Prioraten, die zunächst unter der direkten Verantwortung des Gründers standen und im Jahr 1115 in die Hände der ersten Äbtissin, Pétronille de Chemillé, übergingen. Es ist der Beginn einer neuen, reformierten monastischen Ordnung, die sich gegen die Macht der cluniazensichen Abteien stellte. Obwohl Statuten das monastische Leben regelten, sind die Priorate in ihrer Topographie, Architektur und räumlichen Verbreitung bisher wenig bis gar nicht untersucht worden. Die Studie behandelt das Thema interdisziplinär: Das Corpus der Priorate, das dadurch entsteht, stützt sich auf die kritische Auswertung zahlreicher Schriftquellen, auf die stratigraphische Analyse der Bausubstanz, auf archäologische Untersuchungen sowie auf geophysikalische Prospektionen. Die Bearbeitung der Schriftquellen nimmt ein ausführliches analytisches Kapitel ein: Der Vf. beginnt mit der Überprüfung der edierten Quellen, etwa des Chartulariums von Fontevraud und der im 12. Jh. verfassten Vita des Robert d’Arbrissel. Es folgt die Untersuchung der bibliographischen Werke des 17. und 18. Jh. – u. a. die Regel, die Statuten sowie die Ritualien und Zeremonialien. Schließlich widmet sich der Vf. den Archivbeständen, darunter insbesondere den Necrologia und den Chartularia der einzelnen Priorate sowie Verkaufsakten und Visitationen. Besondere Aufmerksamkeit erfahren die ikonographischen Quellen, die in staatlichen und städtischen Archiven und Bibliotheken aufbewahrt sind. Unter diesen sind insbesondere die Katasterpläne des 18. und 19. Jh. und ältere Fotoaufnahmen zu nennen. Es folgt eine Klassifizierung der monastischen Priorate, insgesamt 44, wobei eine Unterscheidung vorgenommen wird zwischen Doppelklöstern, die unter einem Prior der Mutterabtei Fontevraud unterstanden, und Domänen, die – als landwirtschaftliche Anlagen konzipiert – oft eine Kapelle oder ein Kultgebäude besaßen und von einem Prior verwaltet wurden. Die Instandsetzung und Entwicklung der verschiedenen Anlagen – Doppelklöster, in denen eine männliche und eine weibliche Gemeinschaft zusammenlebten, oder Einzelklöster, die sich nach der Gründung zu Doppelklöstern entwickelten – wird in ihrem Zusammenhang mit der Organisation der Diözese Poitiers und mit der wirtschaftlichen und politischen Funktion der jeweiligen Stifter analysiert. Diese gehörten zur regierenden Aristokratie, aber zum großen Teil auch zum niederen Adel, der die Gründungen unterstützte. Die architektonischen und bauhistorischen Eigenschaften der Anlagen werden dann mit siedlungsgeschichtlichen und geographischen Aspekten in Verbindung gesetzt, wie ihrer Position innerhalb des Verkehrsnetzes, ihrem Anschluss an die Wasserversorgung, ihrer landwirtschaftlichen räumlichen Organisation sowie ihrem Einfluss auf die Bevölkerungsdichte innerhalb der Bistumsgrenzen. Eine besondere Stellung nehmen in einem weiteren Kapitel architektonische und baudenkmalpflegerische Aspekte ein. Hierzu unternimmt der Vf. eine detaillierte stratigraphische Analyse der noch bestehenden Bauten. Untersucht werden die einzelnen Kultgebäude und die Entwicklung ihres Grundrisses, ihre Stellung und ihr Zusammenwirken mit den anderen Bestandteilen der klösterlichen Anlagen, die Organisation der einzelnen Räumlichkeiten und die Wegeführung, die Dienstgebäude als Klosterannexe und die Friedhofsbereiche. Die Aufarbeitung der Quellen und der Informationen, die für die bisher bekannten Anlagen zusammengestellt wurden, lassen eine deutliche Unterscheidung zwischen den Doppel- und den Einzelanlagen erkennen: Während erstere durch einen klösterlichen Aufbau und die Verteilung der Räumlichkeiten einem Kloster ähneln, besitzen die zweiten keine klösterlichen Räume, jedoch eine Kirche oder Kapelle. So lässt sich eine Topographie der notwendigen Bestandteile der Priorate herausarbeiten, wo Kultgebäude und Klostergebäude in Wechselwirkung interagierten. Hervorzuheben ist der besondere archäologische Blick: Neben zahlreichen punktuellen Beobachtungen am Bestehenden werden speziell für das Priorat Montazais, das eine Art Prototyp für weitere Anlagen darstellt, detaillierte archäologische Untersuchungen eingearbeitet. Der historische und politische Rahmen für die Errichtung der Priorate wird ebenfalls analysiert. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Funktion der niederen Aristokratie bei der Gründung der zahlreichen Anlagen, die auch als Verwahrstellen ihrer Rechte und Ansprüche fungierten. Inwieweit haben die Gründungen der Priorate die Entwicklung der Landschaft bestimmt? In welchem Zusammenhang stehen sie mit Abgeschiedenheit und Entfernung von großen Zentren, wenn sie auch oft an gut frequentierten Verbindungsstraßen positioniert sind? Welche Formen der landwirtschaftlichen Nutzung und Ausbeutung der territorialen Ressourcen entstehen infolge der Gründungen? Die Studie reduziert die Gesamtzahl der tatsächlichen Priorate auf wenig mehr als 30 und versucht, auf alle diese Fragen durch komparative Analysen Antworten zu geben. Sie wirft so ein neues Licht auf die Prozesse der Sakralisierung der Landschaft und insbesondere auf die Entwicklung von Siedlungsformen. Die Studie ist ein wunderbarer Beweis, wie weit der interdisziplinäre Forschungsansatz, der Schriftquellen, Geschichte, Architektur und auf archäologischen Wegen gewonnene Erkenntnisse kombiniert, zu bahnbrechenden Ergebnissen und Schlussfolgerungen führen kann.
Sveva Gai
(Rezensiert von: Sveva Gai)