Die Vita sancti Wilhelmi des Heinrich von Seclin. Der Wilhelmitenorden und die hagiographische Heldenepik, hg. von Thomas Haye (Beihefte zum Mittellateinischen Jb. 20) Stuttgart 2021, Anton Hiersemann Verlag, VI u. 100 S., ISBN 978-3-7772-2108-3, EUR 49. – Die bislang unedierte metrische Vita (638 elegische Distichen; Walther Nr. 7196), die eine hagiographische Lebensgeschichte Wilhelms von Malavalle († 1157), des Gründers des Wilhelmitenordens, gibt, wurde wohl um 1450 verfasst und ist unikal in der Hs. Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 7002 (Handschriften [GB fol.]), 44 (fol. 177r–185r), der „wohl wichtigste[n] Quelle für die poetische Produktion des Wilhelmitenordens“ (S. 4), überliefert. Der Autor Heinrich von Seclin begegnet uns lediglich in einer weiteren Quelle, dem Rapiarium Adrian de Buts (1437–1488), das ihn als asketischen Arzt aus Gent und frömmigkeitsbewegten Produzenten ansonsten verlorener metrischer Heiligenviten ausweist, weiter ist einschließlich der Lebensdaten nichts über seine Person bekannt. Heinrichs Geschichte vom Leben Wilhelms hat mit der historischen Figur des Ordensgründers, der bei Castiglione della Pescaia im Bistum Grosseto einsiedlerisch lebte, freilich nur manche äußeren Züge gemeinsam, beruht vielmehr auf einer legendarisch überformten Lebensgeschichte, die sich in der Ordenstradition im 13. Jh. bildete und in der Vita S. Guilelmi (BHL 8923) eines Theobald genannten Autors um 1300 festgeschrieben wurde. Wilhelm von Malavalle wird darin mit dem heiligen Wilhelm I., Graf von Toulouse und Held der hochma. Wilhelmsepik († 812), sowie Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien und Graf von Poitou († 1126), amalgamiert, wodurch ihm eine bis auf Karl d. Gr. zurückgehende adlige Abstammung und ein ereignisreiches Vorleben als ritterlicher Kämpfer ‘angedichtet’ werden. Wie H. in der Einleitung (S. 3–42) darlegt, ergeben sich daraus für Heinrichs réécriture von Theobalds Heiligenvita zahlreiche literarische Möglichkeiten, die Heinrichs Vita sancti Wilhelmi über eine bloße Versifizierung der Vorlage hinausheben und einen selbständigen Gestaltungswillen erkennen lassen, der das tradierte Material souverän, ja stellenweise bis zur Unverständlichkeit hin kürzend verarbeitet. Das Narrativ des sündigen Heiligen wird bedient und auf den Kontrast zwischen Wilhelms (Un-)Taten als unbesiegter jugendlicher Ritter einerseits und seiner späteren Bekehrung andererseits, dem eigentlichen Sieg über Dämonen, Verlockungen und sich selbst, zugespitzt. Von epischen Vorbildern wie Vergil und vor allem Walter von Châtillon beeinflusst, wird der Heilige wie häufig in der hagiographischen Dichtung heroisiert, das Gedicht selbst nach Sprache (epische Termini, Attribuierungen, Formeln) und Motiven (Rüstungs-, Kampf-, „Götter-“, Erkennungsszenen) episiert. Insbesondere Walters Alexander wird als literarische Kontrastfigur des ebenso unbesiegten, aber letztlich bekehrten christlichen Heiligen genutzt. Die Edition der Vita sancti Wilhelmi (S. 44–78) umfasst drei Apparate (Textkritik, Bibelstellen und Similien, Erläuterungen). Da die Dichtung in der Kölner Hs. in einem „philologisch erbärmlichen Zustand“ (S. 5) überliefert und an vielen Stellen verderbt ist, sah sich H. in der Edition zu zahlreichen Konjekturen veranlasst; dennoch erhellt sich der Sinn des Textes – neben den bereits genannten Problemen auch aufgrund sprachlich verunklarender Wortstellungen, Bezüge und Zeilensprünge sowie fehlender Interpunktion – oft nicht, was wohl auch der Grund war, in diesem Fall keine deutsche Übersetzung beizugeben. Ergänzend sind der Edition die verarbeiteten Stellen aus Theobalds Prosavorlage nach der Edition in den AA SS (Febr. II, 1658, S. 452–472) beigegeben (S. 79–95).
B. P.
(Rezensiert von: Bernd Posselt)