Jean-François Nieus, The Origins of Administrative Lordship in Medieval Flanders: A Reassessment, Haskins Society Journal 32 (2020) S. 93–114, behandelt nach einem Überblick zur Forschung seit den 1830er Jahren die sogenannte Reform von 1089, die in einer vielzitierten Urkunde Graf Roberts II. († 1111) für das Stift St. Donatian in Brügge besteht, die angeblich den Propst des Stifts und seine Nachfolger zum Kanzler von Flandern ernennt und von Generationen von Historikern als ein Beleg gewertet wurde, wie fortschrittlich die Verwaltung Flanderns im 11. Jh. war. N. bewertet die Urkunde unbelastet von dieser Geschichte neu. Er kann zeigen, dass es sich in Wirklichkeit um eine Neufassung des echten Stücks von 1089 aus dem Jahr 1127 handelt, die im Zusammenhang mit der Ermordung Graf Karls des Guten (1119–1127) entstanden ist. Hinter dem Mord stand Propst Bertulf von St. Donatian (1091–1127), der in Konkurrenz zum Grafen seine Macht in Flandern ausgebaut hatte. Wie N. zeigen kann, stand hinter der Verfertigung der Urkunde – also hinter der Betrauung des Kapitels von St. Donatian mit dem Kanzleramt für die Grafschaft für alle Ewigkeit – die Absicht, künftige Grafen daran zu hindern, die administrativen Beziehungen, die sich um das Stift entwickelt hatten, wieder zu zerstören. So sollte verhindert werden, dass Ereignisse, wie sie zur Ermordung Karls geführt hatten, wieder vorkämen. N. stellt im folgenden dar, wie die Verwaltung Flanderns im 11. Jh. wirklich beschaffen war, zeichnet die „Herrschaft“ Propst Bertulfs nach und die spätere Entwicklung des Amts des Kanzlers von Flandern.
Thomas J. H. McCarthy (Übers. V. L.)
(Rezensiert von: Thomas J. H. McCarthy)