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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Djro Bilestone R. Kouamenan, Le roi, son favori et les barons. Légitimation et délégitimation du pouvoir royal en Angleterre et en France aux XIVe et XVe siècles (Pariser Historische Studien 123) Heidelberg 2021, Heidelberg Univ. Publishing, 449 S., 3 Farb-Abb., ISBN 978-3-96822-085-7, EUR 54,90; DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.834. – Die auf einer Diss. an der Univ. Bamberg beruhende Studie, die mit dem dortigen Heinz-Löwel-Preis ausgezeichnet wurde, ist online im Open Access verfügbar, kann aber auch gedruckt bezogen werden. Sie untersucht, dem Titel entsprechend, die spannungsreichen Beziehungen zwischen den Herrschern, ihren Günstlingen und dem (hohen) Adel im Frankreich und England des 14. und 15. Jh. Der Vf. analysiert die komplexe und konfliktreiche Konstellation, die sich aus dem Zusammenspiel der „Genese des modernen Staates“ und der zunehmend institutionalisierten Mitsprache unterschiedlicher Gruppen an politischen Prozessen mit traditionellen Ansprüchen adliger Eliten und der Existenz von Herrscher-Günstlingen ergibt. Angesichts der spektakulären Absetzungen Eduards II. (1326), Richards II. (1399) und Heinrichs VI. (1461) sowie der nicht weniger aufsehenerregenden Exekutionen Piers Gavestons (1312) und Hugh Despensers des Jüngeren (1326) liegt ein starker Akzent auf England. Frankreich erscheint v. a. als Kontrastfolie: Auch hier begegnen spektakulär stürzende Favoriten (etwa Pierre de Giac, S. 111–116), aber die Position des Königs erscheint selbst während der Krankheit Karls VI. (1380–1422) weitgehend stabil. Die Arbeit ist – nach der Einführung (S. 15–46) und einer ausführlichen Präsentation der Quellenbasis (S. 47–64) – in drei Abschnitte mit insgesamt sieben Kapiteln gegliedert. Teil I spürt zunächst unter dem Stichwort des consensus fidelium der Herstellung politischer Gemeinschaft und herrschaftlicher Legitimation nach (S. 69–90), bevor er das Phänomen der Favoriten vorstellt (S. 91–139). Die Reaktion der etablierten adligen Eliten auf diese „Aufsteigerfiguren“, deren Stellung sich vor allem dem Gefallen des Herrschers verdankte (der Vf. folgt hier einem weiterhin bedeutsamen Beitrag von Philippe Contamine), ist Gegenstand von Teil II, der das Motiv des Verrats nachzeichnet (S. 145–175) und dann – das Herzstück der Arbeit – die diskursive Instrumentalisierung sexualisierter Motive zur Delegitimierung der politischen Gegner fokussiert (S. 177–221). Teil III stellt zunächst Praktiken der Beratung als Versuch der politischen Einflussnahme dar (S. 227–272), bevor er am englischen Beispiel die Rolle des Parlaments in den Absetzungsprozessen erläutert (S. 273–328). Schließlich untersucht Kap. 7 (S. 329–359) noch die teils spektakulär-brutal inszenierten Hinrichtungen der als Verräter gebrandmarkten gestürzten Favoriten. Auf die Zusammenfassung (S. 361–370) folgen ein Anhang mit zehn Quellenauszügen bereits edierter Texte, eine chronologische Übersicht, ein Glossar, die Bibliographie und ein Index. Insgesamt weist die Studie originelle und weiterführende Beobachtungen ebenso auf wie markante Schwächen: Vor allem der Blick auf die Rolle des Körpers und die sexualisiert wirkenden Motive im Diskurs um die Figur des Favoriten erscheint befruchtend, und die Beziehung zwischen den Imaginarien der Macht und sexueller Handlungsfähigkeit (S. 219f.) wird weiter auszuleuchten sein. Zugleich irritiert aber eine gewisse Sprunghaftigkeit in der Darstellung, die wiederholte Deutung der Inhalte narrativer Quellen als ungebrochene Wiedergabe vergangener Realitäten sowie häufig aufscheinende Wertungen, die sich letztlich geradezu als Parteinahme lesen. Bei aller Wertschätzung des Zugriffs insgesamt sowie mancher Einzelbeobachtung hinterlässt die Lektüre damit doch den Eindruck, dass eine sorgfältige und kritische Bearbeitung vor der Drucklegung wünschenswert gewesen wäre.

Klaus Oschema

(Rezensiert von: Klaus Oschema)