Francesco Pipino, Chronicon. Libri XXII–XXXI. Edizione critica e commento a cura di Sara Crea (Edizione nazionale dei testi mediolatini d’Italia 59 – serie I, 30) Firenze 2021, SISMEL – Edizioni del Galluzzo, VIII u. 1022 S., ISBN 978-88-9290-069-1, EUR 148. – Über den um 1270 geborenen Bologneser Dominikaner Francesco Pipino sind nur wenige biographische Angaben überliefert: Nach Stationen in Padua und Mailand brach er 1320 zu einer Pilgerreise ins Heilige Land auf, die ihn auch nach Syrien, Ägypten und Konstantinopel führte, von wo aus er wieder in seine Geburtsstadt zurückkehrte und dort um 1328 starb. Literarisch in Erscheinung trat Pipino mit seinem Pilgerbericht (RIS1 7 Sp. 663–848), seiner lateinischen Übersetzung von Marco Polos Il Milione, die in mehr als 60 Hss. überliefert ist, und seinem unikal überlieferten Chronicon, das er, so C., am Ende seines Lebens in Bologna verfasste. Ihre Edition umfasst allerdings nur die Bücher 22–31, die auch schon Muratori (RIS1 9, Sp. 587–752) abgedruckt hat und die den Zeitraum von Kaiser Friedrich I. bis Heinrich VII. abdecken. Im Gegensatz zu Muratoris Ausgabe, der nur 199 der insgesamt 431 Kapitel aufnahm, liegt nun der gesamte Text dieser Bücher vor: Buch 25 über die Kreuzzüge hatte Muratori ganz weggelassen. Wie seinerzeit üblich, nahm er nur das in seine Ausgabe auf, was Pipino nicht aus anderen Quellen übernommen hatte und was so als originär gelten konnte. Den Großteil der ausführlichen Einleitung von C. nimmt nach kurzen biographischen Notizen zum Autor und einer auch den Inhalt erschließenden Beschreibung der Hs., die unter der Signatur Lat. 465 (α.X.1.5) in der Bibl. Estense in Modena aufbewahrt wird, die Diskussion um die Vorlagen der Chronik ein. C. führt die Quellen Pipinos ausführlich an – mitunter sogar bis in den Nachweis bestimmter Hss. als Vorlage – und stellt umfangreiche Passagen Pipinos Text gegenüber. Dies ist bis zu einem gewissen Grad auch gerechtfertigt, da in der Edition selbst nur summarisch am Beginn des jeweiligen Kapitels auf Vorlagen verwiesen wird. Als Hauptvorlage diente Pipino laut C. das Speculum historiale des Vincenz von Beauvais, von dem Pipino auch das Konzept übernahm. Allerdings stellt C. auch klar, dass Pipinos Chronik nicht so streng annalistisch angelegt ist wie die des Vincenz und dass ihr geographischer Schwerpunkt auf Norditalien liegt. Sehr begrüßenswert ist die Konkordanz S. 20–26, in der die Übernahmen aus Vincenz in den Büchern 22–26 (ein Kapitel auch aus Buch 28) dargestellt sind. Mit dem zeitlichen Ende von Vincenz’ Speculum tritt dann ab Buch 28 Martins von Troppau Papst- und Kaiserchronik als zentrale Quelle in Erscheinung, die in den vorhergehenden Büchern lediglich für die Papstbiographien herangezogen wurde – C. zitiert allerdings noch nach der Ausgabe von Weiland in MGH SS 22, nicht nach dem gesicherten Text von Anna-Dorothee von den Brincken (https://data.mgh.de/ext/epub/mt/). Neben diesen Hauptvorlagen bediente sich Pipino auch städtischer und anderer Chroniken Norditaliens, wie z. B. des Geschichtswerks des Otto Morena (MGH SS. rer Germ. N. S. 7), der Gesta Federici I. (MGH SS. rer Germ. [27]) sowie deren erweiternder Bearbeitung durch Johannes Codagnellus, wobei Pipino weitgehend der kaiserfreundlichen Sichtweise des Otto Morena folgte. Darüber hinaus sind weitere Vorlagentexte nachgewiesen, die Pipino mitunter sogar explizit als seine Quellen angibt: so z. B. die Chronik von Ernoul und Bernard le Trésorier sowie das Pomerium, das Compendium und die zum Teil verschollenen Historie des Ricobaldus von Ferrara. Eigene Unterkapitel sind den Vorlagen des Buchs 25 gewidmet, das Muratori in seiner Ausgabe weggelassen hatte, sowie den volkssprachlichen Quellen, allen voran Marco Polos Il Milione, und schließlich den dokumentarischen Quellen, die C. besonders ausführlich behandelt (S. 76–101) und dabei sehr viel Petrus-de-Vinea-Material herausarbeitet. Für eine kritische Edition unerwartet, ist ein eigenes Kapitel der nahen Verwandtschaft von Pipinos Chroniktext mit dem Comentum super Dantem des Benvenuto da Imola († 1387/88) gewidmet. Darin wird die prinzipielle Frage aufgeworfen, ob Pipino und Benvenuto beide auf die verschollenen Historie des Ricobaldus von Ferrara zurückgegriffen haben, was eine Rekonstruktion dieser Quelle unter Umständen ermöglichen würde, oder ob nicht doch Benvenuto Pipinos Text als Vorlage benutzte, was C. als durchaus möglich erachtet. Die beiden letzten Kapitel der Einleitung über die Datierung der Chronik und den modus scribendi sind teilweise redundant und nicht mehr so ergiebig wie die vorausgegangenen. Es folgen die Kriterien der Edition (S. 135–137) sowie ein Literaturverzeichnis (S. 139–154). Die Edition selbst (S. 155–891) ist sehr leserfreundlich gestaltet: Die Bücher, von denen jedes in der Regel der Regierungszeit eines Kaisers bzw. römisch-deutschen Königs entspricht – bis auf Buch 25, das den Kreuzzügen, und 31, das König Albrecht I. (im Text ohne Sachanmerkung Adalbertus dux Austrie!) sowie den Päpsten Benedikt XI. und Clemens V. gewidmet ist –, sind in Kapitel eingeteilt, die der Struktur der Hs. entsprechen; diese Kapitel sind von der Editorin noch einmal in Paragraphen unterteilt, auf die sich textkritischer Apparat und Vorlagennachweis beziehen; der Sachkommentar ist mit Zahlenexponenten ausgezeichnet und wird im Anschluss an die Edition geboten (S. 893–960). Der textkritische Apparat bietet neben den paläographischen Besonderheiten der Hs. (P) die Korrekturen einer zeitgenössischen Hand (P1), hinter der C. Pipino selbst vermutet, und einige Ergänzungen einer späteren Hand (P2) zu den Kapitelüberschriften sowie die Lesarten Muratoris, die C. eklektisch in den Text übernimmt oder nur als Varianten im Apparat vermerkt. Der Vorlagennachweis ist allein auf die Paragraphen bezogen und macht keine Unterscheidung zwischen wörtlicher und sinngemäßer Übernahme, was den Benutzer zur Konsultation der Einleitung zwingt, die da sehr viel mehr Details bietet. Ein Hss.-Verzeichnis (S. 963f.) sowie getrennte Verzeichnisse der Orte (S. 965–988) und Namen (S. 989–1022), die alle von Federica Landi erstellt wurden, erschließen die hilfreiche Edition. Leider ist keine einzige Abbildung aus der Hs. beigegeben; diese ist jedoch digitalisiert und unter http://bibliotecaestense.beniculturali.it/info/img/mss/i-mo-beu-alfa.x.1.5.pdf einzusehen – was allerdings nicht aus dem Buch zu erfahren ist.
H. Z.
(Rezensiert von: Horst Zimmerhackl)