The Scientific Works of Robert Grosseteste, ed. by Giles E. M. Gasper / Cecilia Panti / Tom C. B. McLeish / Hannah E. Smithson, Vol. 1: Knowing and Speaking: Robert Grosseteste’s De artibus liberalibus, ‘On the Liberal Arts’, and De generatione sonorum, ‘On the Generation of Sounds’, under the Aegis of The Ordered Universe Research Project, Oxford 2019, Oxford Univ. Press., XXX u. 535 S., ISBN 978-0-19-880551-9. – Der erste Band einer auf sechs Bände angelegten Edition der wissenschaftlichen Werke von Robert Grosseteste vereinigt zwei Schriften zu den sieben freien Künsten (De artibus liberalibus) und zur Erzeugung von Klängen (De generatione sonorum). Diese Ausgabe ist ein dringendes Forschungsdesiderat, denn noch immer stellt für viele dieser zwischen ca. 1220 und 1228 entstandenen Schriften, darunter zu Themen der Kosmologie und der Optik, die 1912 erschienene Werkausgabe von Ludwig Baur die einzig verfügbare Edition dar. Doch die neue Gesamtausgabe hat sich eine noch ambitioniertere Aufgabe gestellt, die weit über eine neue kritische Edition hinausgeht. Das lässt sich am ersten Band zeigen. Der erste Teil gilt dem Traktat über die sieben freien Künste. Er wird eingeleitet durch eine Studie zum historischen Kontext von De artibus liberalibus im engeren Sinne sowie durch eine weitere Studie mit Blick auf die Tradition der artes liberales-Lehren einschließlich der Modifikationen und Erweiterungen der in diesem Schema von Trivium und Quadrivium behandelten artes. Von besonderer Bedeutung sind die Transformationen des Quadrivium im Zuge der Übersetzungsbewegung auf der Iberischen Halbinsel. Hiervon ist auch Robert Grosseteste in seinem Traktat beeinflusst, der damit die dynamischen Veränderungen widerspiegelt, die seit dem 12. Jh. im Zuge der beginnenden Aristotelesrezeption vonstatten gingen. In diesem Zuge wurden die Analytica posteriora, die Robert Grosseteste selbst umfänglich kommentiert hat, zum wissenschaftstheoretischen Standard. Der hier edierte Traktat über eine traditionelle Einteilung der Wissenschaften ist wahrscheinlich kurz zuvor entstanden und somit ein wichtiges Zeugnis für den sich ankündigenden Paradigmenwechsel. Hierzu finden sich im Anschluss an die Edition vier weitere Studien zum Trivium, zum Quadrivium mit einem besonderen Augenmerk auf die Musik, ferner zur Präsenz des Aristoteles in De artibus liberalibus und schließlich zur Erweiterung des Quadrivium um Alchemie, Pflanzenkunde und Medizin. Die Edition basiert auf einem vollständigen Conspectus der hsl. Überlieferung, für die sich zwei Familien aufzeigen lassen, die sich aber teilweise wiederum in Untergruppen aufspalten. Sie hat neben dem obligatorischen Variantenapparat auch einen umfangreichen Quellenapparat. Ferner ist der lateinischen Edition eine englische Übersetzung beigegeben. Dieses Modell einer umfangreichen Erschließung gilt auch für die zweite Schrift De generatione sonorum, deren Fokus auf der Frage liegt, wie Klang aus Bewegung entsteht und wie die Seele den Körper hinsichtlich des Klangs bewegt. Diese Diskussion knüpft an die Frage nach der Einheit von innerem und äußerem Wort an. Auch diese Schrift wird zunächst in ihrem weiteren und engeren historischen Kontext situiert. Die Überlieferung der Hss. lässt sich ebenfalls wieder in zwei Familien gruppieren. Doch zeigt das Stemma Abweichungen gegenüber De artibus liberalibus. Es ergibt daher Sinn, für jede Schrift die Überlieferung eigens zu untersuchen. Die lateinische Edition mit ausführlichen Apparaten ist wiederum von einer englischen Übersetzung begleitet. Es folgen fünf umfangreiche Studien, die die Dynamik aufzeigen, die im Kontext der „sound studies“ vorherrscht und sich in den geradezu explodierenden naturwissenschaftlichen Fragen widerspiegelt, die durch Aristoteles und seine griechischen und arabischen Kommentatoren, aber auch durch medizinische Quellen wie Galen angeregt und weitergetrieben wurden. Die letzte Studie schlägt explizit die Brücke zu Grossetestes Kommentar zu den Analytica posteriora. In einem dritten Teil findet sich noch die Edition der mittelenglischen Übersetzung von De artibus liberalibus aus der Mitte des 15. Jh., die gleichfalls von einer modernen englischen Übersetzung begleitet ist und einen rezeptionsgeschichtlichen Ausblick in die volkssprachliche Überlieferung erlaubt. Das Buch ist ein Gemeinschaftswerk kollaborativer Wissenschaft, das alle Arbeitsanteile klar und seriös ausweist. Andernfalls wäre eine Edition mit derart umfangreichen Erschließungsarbeiten überfordert. Im Falle der wissenschaftlichen Schriften Robert Grossetestes ist das gewählte Modell von großem Wert. Der Band ist ein wichtiger Forschungsbeitrag, der weit über die Person des Protagonisten hinausgeht und eine wichtige Quelle für die Wissenschaftsgeschichte der ersten Hälfte des 13. Jh. darstellt. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Index machen den Zugang für alle Interessenten und Forscher leicht. Dass der Band von Seiten des Verlags hervorragend ausgestattet ist, sollte abschließend nicht unerwähnt bleiben.
Andreas Speer
(Rezensiert von: Andreas Speer)