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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Was dürfen Laien lesen? Gerhard Zerbolt von Zutphen, De libris teutonicalibus / Een verclaringhe vanden duytschen boeken, lateinisch und mittelniederländisch, hg. von Nikolaus Staubach / Rudolf Suntrup, Münster 2019, Aschendorff, 214 S., ISBN 978-3-402-24628-3, EUR 48. – Im Zuge der Ausbreitung der als Devotio moderna bezeichneten religiösen Reformbewegung wurden Brüder- und Schwesterngemeinschaften weit über den Ursprungsort Deventer und den niederländischen Raum hinaus auch in Westfalen, dem Rheinland und Süddeutschland gegründet. Zu den einschlägigen Texten der Devotio moderna zählt die Schrift De libris teutonicalibus des Geistlichen und Bibliothekars der Brüder vom gemeinsamen Leben in Deventer Gerhard Zerbolt von Zutphen († 1398), der darin das Recht der Laien auf volkssprachige Bibellektüre formuliert. Der Kenntnisstand, der bisher nur auf unvollständigen Fassungen dieses Texts beruht hatte, ist durch den Fund einer ungekürzten mittelniederländischen Übersetzung Een verclaringhe vanden duytschen boeken aus dem Umfeld von Zutphen durch Volker Honemann († 2017) deutlich erweitert worden – Honemann, der diese Hs. transkribiert hat und aus dessen Nachlass wichtiges Material hier einfloss, ist dieses Buch gewidmet. Ziel der beiden Hg. ist es, den mittelniederländischen Text in einer kritischen Edition vorzulegen und auf dieser Grundlage den Aufbau und die Argumentation von De libris teutonicalibus deutlicher zu fassen. In der umfassenden Einführung werden Leben und Werk Gerhard Zerbolts vorgestellt, der trotz seines frühen Todes im Alter von 31 Jahren mehrere theologische Schriften verfasste und zu den prägenden Persönlichkeiten in der Frühphase der Brüder vom gemeinsamen Leben in Deventer zählte. Ebenso wird die Rezeption von Zerbolts Werk vorgestellt, das in der Forschung erst seit knapp drei Jahrzehnten stärker wahrgenommen wird, wozu auch mehrere Textfunde beigetragen haben. Ein wichtiger Grund für die Abfassung von De libris teutonicalibus war die Frage nach der Legitimität des Gemeinschaftslebens von devoten Laien, die Ende des 14. Jh. einer Klärung bedurfte, was schließlich zur Approbation der Schwestern- und Brudergemeinschaften im Jahr 1401 durch den Bischof von Utrecht beitrug. Ziel des Texts war zum einen die Widerlegung der Kritiker der Lektüre volkssprachiger geistlicher Literatur, vor allem der Bibel. Dies war besonders für Schwesterngemeinschaften wichtig, um sie vor Vorwürfen zu bewahren, die in gewisser Regelmäßigkeit gegen das Beginenwesen erhoben wurden. Zum anderen werden Gründe für eine Beschränkung der Auswahl der Lektüre erläutert, an denen sich die Laien orientieren sollten. Mit Blick auf den ersten Teil zeigt sich Zerbolts umfassende Belesenheit, die ihm für eine breite Zusammenstellung älterer Textzeugnisse für eine Apologie der volkssprachigen Laienbibel dienlich ist. Bemerkenswert ist bei seinem Vorgehen, dass er selbst vor Umdeutungen päpstlicher Dekretalen nicht zurückschreckt. Auch für die Restriktionen bei der Lektüreauswahl werden Zitate aus der Bibel und den Kirchenvätern herangezogen; begründet werden die Einschränkungen mit der begrenzten geistigen Kapazität der Laien, die sich auf das Heilsnotwendige beschränken sollten. Die Edition von De libris teutonicalibus und Een verclaringhe vanden duytschen boeken bildet den zweiten Hauptteil. Beide Texte werden ausführlich eingeleitet und in hoher Qualität ediert; dabei werden neben den jeweiligen Leithss. unterschiedliche weitere Überlieferungsträger berücksichtigt. Abschließend sei der Anhang mit drei weiteren Textzeugen erwähnt, in dem die Verbreitung von Zerbolts Schriften deutlich wird, dessen Bedeutung, und dies ist das große Verdienst der Hg., nun auf eine neue Grundlage gestellt wird. Einziges Manko ist das Fehlen eines Registers, was die Rezeption dieses für die Geschichte der religiösen Lebensformen im Spät-MA sehr wichtigen Buchs jedoch nicht allzu sehr schmälern sollte.

Jörg Voigt

(Rezensiert von: Jörg Voigt)