DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Stefano Zamponi, Le ragioni della scrittura. Piccoli scritti di paleografia, a cura di Teresa De Robertis / Nicoletta Giovè Marchioli (Scritture e libri del medioevo 19) Roma 2021, Viella, 349 S., Abb., ISBN 978-88-3313-736-0, EUR 50. – Der 70. Geburtstag bzw. die damit verbundene Pensionierung des langjährigen Inhabers einer Professur für lateinische Paläographie an der Univ. Florenz und Präsidenten des CIPL (2005–2015) im Jahr 2019 war der Anlass für die Herausgabe dieses Bandes mit paläographischen Schriften des Jubilars, die von ihm selbst in Zusammenarbeit mit den beiden Hg. ausgewählt wurden und drei Bereiche abdecken: die Textualis, die Humanistica und allgemeine methodische Überlegungen zur Paläographie. Nach dem 123 Titel umfassenden, sehr nützlichen Schriftenverzeichnis (S. 9–18) folgen kurze Überlegungen des Vf. zur Auswahl bzw. zum Entstehungskontext der hier versammelten Beiträge (Introduzione, S. 19–25). Diese umfassen – in etwas schwer durchschaubarer, jedenfalls weder thematischer noch chronologischer Ordnung – neun zwischen 1988 und 2018 erschienene Aufsätze sowie drei Beiträge, die in dieser Form bisher nicht zugänglich waren: Zwei davon geben vom Vf. bei einschlägigen Tagungen gehaltene Vorträge wieder (Virgulariter e inferius. Giovan Francesco Cresci e la disputa sulla corsiva, S. 199–208, Cambridge 2007; Il mestiere di paleografo, S. 231–248, Rom 2010), der dritte (Quattro secoli di littera textualis in Italia, S. 77–111) ist eine (nunmehr italienische) Überarbeitung zweier erst im Jahr davor (!) erschienener Beiträge zur gotischen Schrift im Oxford Handbook for Latin Palaeography. Schon am zuletzt genannten Beispiel ist zu erkennen, dass man über die hier getroffene Auswahl zumindest geteilter Meinung sein kann: Ist es wirklich sinnvoll, zwei in einem erst jüngst erschienenen Handbuch zu findende Überblicksartikel schon wieder zu erweitern und damit das Handbuch nach kurzer Zeit eigentlich zu entwerten? Auch die Übernahme des Artikels mit dem irreführenden Titel „La scrittura umanistica“ (S. 113–126) aus dem AfD von 2004 (vgl. DA 61, 294) kann man mit gutem Recht hinterfragen: Der Artikel verfehlte schon damals sein angestrebtes Ziel, einen Überblick über die Geschichte der Humanistica zu geben, und hätte besser nicht unter diesem Titel publiziert werden sollen (was man hier nun zumindest hätte thematisieren können), allerdings enthält er zweifellos Detailbeobachtungen, die ihn durchaus auch im Rahmen einer Anthologie wie der hier in Rede stehenden lesenswert machen. Was sich durch das Zusammenführen der hier (wieder) publizierten Artikel (und damit auch der vom Vf. verwendeten Literatur) in geradezu spektakulärer Art und Weise zeigt – und darin besteht ein großes Verdienst dieses Bandes –, ist allerdings etwas anderes: nämlich die eigentlich nicht anders als grotesk zu bezeichnende Negierung jeglicher deutschsprachigen Literatur zu seinen Themen. Es braucht an dieser Stelle nicht ausgeführt zu werden, welche Verdienste die deutschsprachige Forschung sich sowohl auf dem Gebiet der gotischen (Walter Heinemeyer, Karin Schneider) als auch der humanistischen (Thomas Frenz, Peter Herde sowie dessen Schülerkreis mit Horst Zimmerhackl, Martin Rüth etc.) Schrift erworben hat – dies ist nicht nur in paläographischen Kreisen ausreichend bekannt. Wirft man jedoch einen Blick auf das kumulierte Verzeichnis der in den hier versammelten Aufsätzen verwendeten Literatur (S. 251–276), wird der Eindruck bestätigt, den man schon inhaltlich aus der Lektüre gewonnen hat: man findet von diesen maßgeblichen Namen keinen einzigen. Damit werden selbstredend wichtige Aspekte in der Erforschung der beiden genannten Schriften völlig ausgeklammert. Dass auch im Umkreis des Jubilars (vgl. DA 75, 198f.) diese Tendenz nahtlos fortgesetzt wird, wird den Band für künftige wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen zur italienischen Paläographie zu einem aussagekräftigen Ausgangspunkt machen.

M. W.

(Rezensiert von: Martin Wagendorfer)