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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Handbook of Stemmatology. History, Methodology, Digital Approaches, ed. by Philipp Roelli, Berlin / Boston 2020, De Gruyter, VI u. 688 S., Abb., ISBN 978-3-11-067417-0, EUR 119,95. – Den im Deutschen (will man nicht zu „Stemmatologie“ greifen) schwer wiederzugebenden Begriff „stemmatology“ (oder auch „stemmatics“) definiert der Hg. als „the parts of textual criticism dealing with the genealogical dependencies between witnesses of texts“ (S. 3), mithin als ein recht disparates Feld zwischen Überlieferungsgeschichte und Editionswissenschaft. Dies und die zunehmend zur Unbeherrschbarkeit größerer Themenfelder durch Einzelpersonen führende Spezialisierung in den Geisteswissenschaften spiegeln sich in der Anlage des Bandes insofern wider, als nicht nur insgesamt 38 Vf. für die einzelnen Beiträge verpflichtet, sondern die acht Großkapitel, in welche sich dieselben gliedern, von acht „Kapitel-Hg.“ (die auch jeweils für die Einleitung zum Kapitel verantwortlich zeichnen) konzipiert wurden. Behandelt werden 1) Textual traditions (Überlieferungsgeschichte im engeren Sinne mit ihren materiellen Grundlagen wie Beschreibstoffen usw.), 2) The genealogical method (eine Geschichte der Textkritik seit dem antiken Alexandria über Lachmann bis ins 21. Jh.), 3) Towards the construction of a stemma (Einordnung von Textzeugen, indirekte Überlieferung, Kollation usw.), 4) The stemma (Definition von Begriffen wie Stemma, Archteyp usw.; Problem von Kontaminationen), 5) Computational methods and tools (Anwendung von Methoden der IT), 6) Editions (Typen von Editionen etc.), 7) Philological practices (Bereiche wie Textkritik des Neuen Testaments, altgriechischer Texte usw. als Fallstudien) und 8) Evolutionary models in other disciplines (entsprechende Modelle in anderen Disziplinen wie Anthropologie, Linguistik etc.). Die Beiträge stellen für alle, die an diesem Thema interessiert sind, eine durchaus anregende und interessante Lektüre dar, wenngleich man bei Publikationen auf diesem Feld erfahrungsgemäß immer wieder zu demselben Ergebnis kommt, das der Hg. erfreulicherweise gleich in der Einleitung festhält (S. 4): „The often heated debates about the possibilities of scientific methodology in the study of texts are, unfortunately, too often pursued by people who have never edited a text themselves … Our discipline is to such an extent a practical art (ars) that it can hardly be grasped without getting one’s hands dirty by trying for oneself.” Das kann nur mit allem Nachdruck unterstrichen werden.

M. W.

(Rezensiert von: Martin Wagendorfer)