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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Gesammelt – zerstreut – bewahrt? Klosterbibliotheken im deutschsprachigen Südwesten, hg. von Armin Schlechter (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen 226) Stuttgart 2021, W. Kohlhammer Verlag, VII u. 307 S., Abb., ISBN 978-3-17-037425-6, EUR 28. – Im Februar 2015 fand im Evangelischen Stift in Tübingen eine Tagung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg statt, deren Beiträge, die sich vor allem mit dem Schicksal von klösterlichen Büchersammlungen des deutschen Südwestens in der Neuzeit beschäftigten, hier (ergänzt um einen Aufsatz zu St. Gallen von Karl Schmuki) in schriftlicher Form vorgelegt werden. Da diese Sammlungen zu einem großen Teil aus ma. Beständen bestehen, sind die Beiträge gleichwohl auch aus mediävistischer Sicht von Relevanz. Sie gliedern sich in zwei große Abschnitte, deren erster „Klosterbibliotheken als Überlieferungsorte und die Folgen der Säkularisation“ behandelt und folgende Aufsätze umfasst: Peter Rückert, Skriptorien – Bibliotheken – Archive? Zur spätmittelalterlichen Schriftkultur in südwestdeutschen Benediktiner- und Zisterzienserklöstern (S. 9–32), diagnostiziert mit Blick sowohl auf die literarische und liturgische Schriftkultur als auch auf die pragmatische Schriftlichkeit der beiden Orden für das 14. Jh. eine auch im Bereich der Schriftkultur erkennbare „kulturelle Krise“ vor allem in den Benediktiner-, weniger in den Zisterzienserklöstern (wo das Verwaltungsschriftgut eine größere Rolle spielte), die erst durch die Reformansätze des 15. Jh. gemildert werden konnte, so dass um 1500 eine letzte Blüte der klösterlichen Buchkunst die Folge war. – Magda Fischer, Bibliotheken südwestdeutscher Männer- und Frauenkommunitäten zwischen Trienter Konzil und Säkularisation. Bestände und Überlieferung (S. 33–54), definiert zunächst drei große Gruppen von Büchersammlungen (gelehrte Orden; Schul- und Seelsorgeorden; Frauenkommunitäten) im deutschen Südwesten im besagten Zeitraum und arbeitet in sehr anschaulicher Weise die inhaltlichen und quantitativen Unterschiede hinsichtlich des Bestands sowie seiner Ordnung heraus, die wesentlich auch das Schicksal der Büchersammlungen bis zur Säkularisation bestimmen sollten. – Jürgen Wolf, Südwestdeutsche Klöster und Klosterbibliotheken als Produktions- und Überlieferungsorte alt- und mittelhochdeutscher Literatur (S. 55–75), erläutert die Rolle des deutschen Südwestens für die deutsche Literatur des 8.–14. Jh. und zeigt anhand einer Reihe von Beispielen, wie die dortigen Klöster von Anfang an in die Schriftwerdung der deutschen Sprache seit dem Ende des 12. Jh., durchaus auch in Hinsicht auf weltliche Texte, involviert waren, und dass eine eindeutige Zuweisung von Hss. an konkrete Entstehungsorte in der Mehrzahl der Fälle sehr schwierig ist. – Armin Schlechter, Inkunabeln aus Klosterbibliotheken in Baden und der Pfalz (S. 77–108), interessiert sich in seinem dichten Überblick vor allem für den im Lauf der Zeit sich stark verändernden Umgang mit den Inkunabeln. – Christine Sauer, Kloster- und Stadtbibliotheken in evangelischen Reichsstädten Süddeutschlands (S. 109–134), zeigt am Beispiel städtischer Bibliotheken in Augsburg, Bad Windsheim, Esslingen, Heilbronn, Lindau, Memmingen, Nördlingen, Nürnberg und Ulm, wie der Umgang mit dem katholischen Büchererbe stark von den lokalen Gegebenheiten und von Einzelpersonen abhing, meist aber erst im 17. Jh. die katholischen Altbestände und die evangelischen Sammlungen in einem einzigen Ordnungssystem vereint wurden, wobei besonders Pergamenthss. (im Unterschied zu Drucken) aufgrund ihres Materialwerts höchst gefährdet waren, als Makulatur zu enden. – Christoph Schmider, Gemeinsame Interessen oder Gegeneinander? Der Umgang mit Klosterbibliotheken im Zusammenwirken von badischem Staat und katholischer Kirche nach der Säkularisation (S. 135–145), kommt nach der Untersuchung zweier Fallbeispiele (Konstanz 1807 und Freiburg 1828–1830) zu dem Schluss, dass weder auf staatlicher noch auf kirchlicher Seite eine stringente Strategie im Umgang mit klösterlichen Buchbeständen nach der Säkularisation auszumachen ist und dieser stark von der konkreten Situation und den handelnden Personen abhängig war. – Im zweiten Abschnitt, „Fallbeispiele aus dem deutschsprachigen Südwesten“, werden folgende Institutionen bzw. deren Büchersammlungen behandelt: die Stiftskirche in Wertheim (Udo Wennemuth, S. 149–169); die Klosterbibliotheken Neustadt, Bronnbach, Triefenstein und Grünau (Hermann Ehmer, S. 171–186), das Benediktinerkloster St. Georgen (Annika Stello, S. 187–200), die Drucke aus der Deutschordenskommende Mergentheim und der Benediktinerabtei Weingarten (Christian Herrmann, S. 201–222), das Benediktinerkloster Irsee (Helmut Zäh, S. 223–267) und die Bücherbestände der Stiftsbibliothek St. Gallen im Zeitalter der Klosteraufhebung (Karl Schmuki, S. 269–291).

M. W.

(Rezensiert von: Martin Wagendorfer)