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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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De interpretandorum fontium arte. Über die Kunst der Quelleninterpretation. Festschrift für Winfried Stelzer zum 80. Geburtstag, hg. von Karel Hruza / Roman Zehetmayer (NÖLA. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 20) St. Pölten 2022, Niederösterreichisches Institut für Landeskunde, 469 S., ISBN 978-3-903127-40-1, EUR 30. – Die zweite Festschrift (vgl. DA 61, 199–201) für den Emeritus der Univ. Wien wird fast ausschließlich von Beiträgern gefüllt, die im Rahmen des Ausbildungskurses am Institut für Österreichische Geschichtsforschung seine Lehrveranstaltungen zur Paläographie und Kodikologie absolviert haben, was mehreren von ihnen die Gelegenheit gibt, manche Reminiszenzen daran einfließen zu lassen und ihre Nachhaltigkeit unter Beweis zu stellen. Nach sehr persönlichen Notizen zum Widmungsträger von Reinhard Kren (S. 11–26) eröffnet Eveline Brugger (S. 27–44) wenig festlich, aber in Verbindung zum Œuvre des Geehrten (vgl. DA 56, 353) mit der Publikation einer Notiz über die Hinrichtung eines konvertierten und wieder zum Judentum zurückgekehrten Juden, der sich selbst angezeigt hatte, 1410 in Wien. Christoph Egger (S. 45–61) beschreibt die Hs. Bern, Burgerbibl., Cod. 100, aus dem späteren 12. Jh. mit Werken des Hilarius von Poitiers und lokalisiert sie, nicht zuletzt aufgrund der Marginalien von der Hand Engelberts von Admont, in dessen Kloster. Christian Lackner (S. 100–111) untersucht die Urkundenproduktion Rudolfs von Habsburg, dessen Kanzlei an keinen Vorgänger anschließen konnte, in den ersten Monaten als König und zeigt ihr rasch entwickeltes Potenzial. Günter Marian (S. 112–227) stellt die Geschichte der niederösterreichischen Pfarre Hausleiten und ihrer Inhaber vor, bevor er das bemerkenswert umfangreiche Urbar aus dem frühen 14. Jh. ediert und erschließt. Gustav Pfeifer (S. 228–257) zeigt anhand der Wappenbriefe Herzog Albrechts III. von Österreich für die Tiroler Brüder Vintler (1393) und Friedrichs III. für zwei Bozner Ratsbürger (1488), deren späterer Besserungen und der monumentalen Darstellung der Wappen in der Burg Runkelstein und dem Ansitz Rottenbuch, dass die Verleihungen „Wegmarken sozialen Aufstiegs“ waren, aber keine Standeserhöhung mit sich brachten, wie die sozialen Profile der Adressaten belegen. Folker Reichert (S. 258–274) behandelt Carl Erdmanns Editionen und dessen in Briefen geäußerte editorische Anschauungen. Martin Roland (S. 282–297) stellt die Ablassbulle Papst Sixtus’ IV. von 1477 für die Kathedrale Rouen anlässlich der Einführung des Fests Maria Schnee durch den Kardinal Guillaume d’Estouteville vor, deren Initiale mit einer Zeichnung des Schneewunders nach dem Fassadenmosaik von S. Maria Maggiore in Rom ausgestaltet ist, und fügt Überlegungen zum Bildschmuck spätma. Papsturkunden an. Maria Stieglecker (S. 318–320) beklagt, nicht sonderlich ernst gemeint, die Behinderung der Digitalisierung von Wasserzeichen durch die „lästige Schrift“. Karl Ubl (S. 321–330) ordnet zwei Hss. des Speculum virtutum Engelberts von Admont aus dem 15. Jh., die nach seiner Edition des Werks bekannt geworden sind, in die Überlieferung ein. Andreas Zajic (S. 331–354) diskutiert Graffiti des 15. und 16. Jh. mit skatologischen und sexuellen Bezügen und deren soziale und bildungsgeschichtliche Verortung. Roman Zehetmayer (S. 355–392) charakterisiert aus der Arbeit am vierten Band des Niederösterreichischen Urkundenbuchs heraus die Entwicklung des Urkundenwesens im Herzogtum Österreich und der Diözese Passau im späten 12. und frühen 13. Jh., widmet sich besonders der herzoglichen und der bischöflichen Passauer Kanzlei, und bringt Beobachtungen zu Urkunden für die Klöster Zwettl, Altenburg, Seitenstetten und Melk auch unter dem Aspekt von Fälschungsfragen. Bernhard Zeller (S. 393–403) rekonstruiert aus der Hs. Zürich, Zentralbibl., Ms. C 35, entnommenen Fragmenten eine Urkunde für St. Gallen von 773. – Zeitlich aus dem Rahmen fällt der Beitrag von Josef Riedmann (S. 275–281) über eine von oberösterreichischen Studenten in Padua 1564 im Sterbehaus Petrarcas in Arquà angebrachte Ritzinschrift, inhaltlich jene von Karel Hruza (S. 62–99) über einen andalusischen Gitarrenbauer des 19. Jh. und von Andrea Rzihacek (S. 298–317) über Winston Churchill als Maler. – Im Anhang sind Referate des Niederösterreichischen Archivtags 2021 abgedruckt, darunter eines von Peter Wiesflecker (S. 436–454), ebenfalls Stelzer-Schüler, der über die Sammlungen des Steiermärkischen Landesarchivs berichtet, zu denen auch die bedeutende Allgemeine Urkundenreihe gehört. – Der Band signalisiert, dass es um die österreichische Mediävistik noch nicht so schlecht steht, wie die universitäre Alltagserfahrung suggeriert.

Herwig Weigl

(Rezensiert von: Herwig Weigl)