Rulership in Medieval East Central Europe. Power, Rituals and Legitimacy in Bohemia, Hungary and Poland, ed. by Grischa Vercamer / Dušan Zupka (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 78) Leiden / Boston 2022, Brill, XV u. 534 S., 4 ungezählte S. Karten, Abb., ISBN 978-90-04-49980-5, EUR 166. – Der Band versammelt 19 Beiträge von Historikern aus Deutschland, der Tschechischen Republik, Polen, Ungarn, Italien, Griechenland und den USA. Sein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf ma. Konzeptionen und Praktiken von Macht und Herrschaft in den böhmischen Landen, in Polen und Ungarn. Präsentiert werden die Beiträge in drei chronologisch angelegten Sektionen, die sich mit den Grundlagen und Entwicklungen in der Periode befassen, als diese Länder in den Aufmerksamkeitskreis des fränkischen Reichs traten (Part 2), in der Zeit etablierter Herrschaft während des hohen und späten MA (Part 3) sowie mit den Machtstrukturen des späten MA (Part 4). Als fünfter Abschnitt folgen Perspektiven von den Rändern des Untersuchungsraums, welche die Rolle „äußerer Einflüsse“ thematisieren. Eingerahmt werden die Beiträge von zwei Forschungsüberblicken der Hg. zu Herrschaft im ma. Ostmitteleuropa (Z., S. 3–26) sowie in Westeuropa (V., S. 27–59) und einer ausführlichen Bibliographie, die allein über 80 Seiten umfasst (S. 447–530). V. entwirft in seinem Beitrag ein Analyseraster zur Wahrnehmung sowie zu den Praktiken von Herrschaft im ma. Europa (S. 54–59). Diese Überlegungen, die auf seiner Habil.-Schrift beruhen (vgl. S. 59), scheinen aber nicht als Leitfragen den einzelnen Aufsätzen des Bandes zugrunde gelegen zu haben. Der erste chronologische Abschnitt widmet sich den Anfängen der ostmitteleuropäischen Dynastien der Przemysliden, Arpaden und Piasten, welche die Geschichte ihrer Länder zwischen dem 10. und dem 14. Jh. entscheidend geprägt haben. Martin Wihoda (S. 63–80) geht dabei bis ins frühe 9. Jh. und zum Zerfall der awarischen Herrschaft zurück, Márta Font (S. 81–110) bringt einen Überblick über die ungarische Dynastiegeschichte bis zum Aussterben der Arpaden 1301, und Zbigniew Dalewski (S. 111–132) diskutiert die Implikationen des zweimaligen Königtums (1025–1034, 1076–1078) für die Herrschaftsinszenierung der Piastenherrscher. Der nächste Abschnitt, der sich unter der Überschrift „Ritual und Politik“ mit „etablierter Herrschaft im Hoch- und Spät-MA“ befasst, lenkt die Aufmerksamkeit auf konkrete Narrative und Praktiken. Dušan Zupka (S. 135–159) geht darauf ein, wie religiöse Motive genutzt wurden, um Thronprätendenten zu legitimieren, Herrscher als Werkzeuge Gottes zu inszenieren oder territoriale Identifikationen zu popularisieren. Robert Antonín (S. 160–177) diskutiert die Entwicklung ritueller Praktiken (Krönung, Adventus Regis, Begräbnis des Königs) in Böhmen nach dem Übergang an die Dynastie der Luxemburger. Marcin R. Pauk (S. 178–197) widmet sich der Rolle der Sprache als Mittel von Herrschaft und Kommunikation in der politischen Kultur Polens in der Zeit der Teilfürstentümer im 12. und 13. Jh. und hinterfragt die historiographische Konstruktion eines bereits in der Mitte des 13. Jh. dominanten Narrativs „nationaler“ Einheit. In vergleichender Betrachtung zwischen dem Heiligen Römischen Reich und den mitteleuropäischen Königreichen des 14. und 15. Jh. wendet Julia Burkhardt (S. 198–214) den Blick auf Akteure jenseits von Dynastie und Hof und stellt die Rolle ständischer Versammlungen als Mittel politischer Partizipation wie territorialer Repräsentation heraus. Abschnitt 4 trägt den Titel: „Strukturen der Herrschaft im späten MA“. Die hier versammelten Beiträge befassen sich alle mit dem 14. und 15. Jh., doch Herrschaftsstrukturen werden nur in den beiden letzten diskutiert. Die ersten beiden Beiträge gehen dagegen eher auf Fragen von Repräsentation und Legitimation ein und könnten damit mit Gewinn auch dem vorangegangenen Abschnitt zugerechnet werden. Aus kunstgeschichtlicher Perspektive betrachtet Vinni Lucherini (S. 217–246) das „Eindringen des Heiligen“ in die Geschichte der ungarischen Könige am Beispiel des Chronicon pictum aus der Mitte des 14. Jh. Am Beispiel der Herrscherminiaturen zeigt sie, wie das Narrativ der Heiligkeit bildlich die Texterzählung überwölbt und damit ältere Narrative überschreibt. Paul W. Knoll (S. 247–259) befasst sich mit der Legitimation monarchischer Herrschaft im polnischen Königreich der beiden letzten Piastenherrscher im 14. Jh. Die Militärverwaltung in Ungarn unter der Regierung des Hauses Anjou bildet das Thema von Attila Bárány (S. 260–290), und Bożena Czwojdrak (S. 291–305) diskutiert die Verwaltungsstrukturen in Polen nach dem Ende der Piastendynastie. Der letzte Abschnitt wiederum ist äußeren Einflüssen auf die Entwicklung von Macht und Herrschaft in Böhmen, Polen und Ungarn gewidmet. Die Hg. versammeln hier Beiträge zu Byzanz (Panos Sophoulis, S. 309–324), der Rus’ (Christian Raffensperger, S. 325–339), der „mongolischen Erfahrung“ (Felicitas Schmieder, S. 340–355), zwei Beiträge zum Heiligen Römischen Reich im Hoch- und Spät-MA (Grischa Vercamer, S. 356–396; Stephan Flemmig, S. 397–416) sowie einen zur Frage päpstlicher Autorität in Mitteleuropa (Monika Saczyńska-Vercamer, S. 417–445). Von diesen sei hier der Artikel von R. hervorgehoben, der die Geschichte der Rus’ nicht als peripheres Anhängsel begreift, sondern ihre Potentiale für einen Perspektivwechsel in der Betrachtung von ma. Herrschaft auslotet. Insgesamt präsentieren die beiden Hg. ein sehr vielschichtiges Panorama, welches die Bedeutung des (ost-)mitteleuropäischen Raums für die Diskussion dieser zentralen Forschungsfragen eindrucksvoll herausstellt und damit Impulse für eine gesamteuropäische Diskussion bereitstellt. Bedauerlich ist jedoch, dass das von V. in seinem einführenden Aufsatz doch sehr nachdrücklich formulierte Forschungsprogramm nicht als gemeinsame Plattform für die übrigen Beiträge genutzt wurde. Dies bleibt ein Desiderat für künftige Forschungen, die gern auch die Tragfähigkeit dieser Fragen aus einer globalen Perspektive beleuchten dürften.
Jürgen Heyde
(Rezensiert von: Jürgen Heyde)