Pierre Monnet, Karl IV. Der europäische Kaiser. Aus dem Französischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer, Darmstadt 2021, wbg Theiss, 364 S., Abb., ISBN 978-3-8062-4271-3, EUR 38. – Eine Biographie über Karl IV. ist ein schwieriges Unterfangen. Was wir über den Kaiser aus der Familie der Luxemburger wissen, ist ambivalent. Und die Zeit, in der er lebte und wirkte, das 14. Jh., ist ebenso zwiespältig. Einige halten sie für einen fernen Spiegel unserer Zeit. Ein Vergleich der Vielzahl und der Größe der damaligen Probleme (z. B. Klima, Krieg, Seuchen, Umwelt, Ungleichheit) mit der Gegenwart legt nahe, dass diese These zumindest der Überprüfung wert sein kann. Die Uneindeutigkeit von Person und Zeit ist eine der Herausforderungen, die sich jedem Vf. stellen. Zuletzt hatte sich 1990 Heinz Stoob dieser Aufgabe angenommen (vgl. DA 47, 690). Ihm vorangegangen war 1978 Ferdinand Seibt (vgl. DA 37, 386f.), dessen anspruchsvolle Biographie mehrfach aufgelegt ein lange die Forschung prägendes Werk darstellte. Jetzt hat sich M. auf 300 Textseiten an die Entschlüsselung der komplexen und problematischen Figur Karls IV. gemacht. Seibt und Stoob brauchten dazu jeweils 400 Seiten. Die Gegenüberstellung dieser Zahlen ist nicht ganz unsinnig, denn es wird sich zeigen, dass die vorliegenden, preisgekrönten 300 Seiten nicht ausgereicht haben, um Karl IV. in seiner Zeit umfassend darzustellen. Der Aufbau des Buchs ist gelungen. Drei Hauptteilen: Erobern – Herrschen – Überdauern, sind jeweils drei bis vier Kapitel zugeordnet. Jeden Hauptteil beschließt zudem eine als „1., 2. und 3. Akt“ bezeichnete Darstellung eines Einzelereignisses. Zum Ende wird eine sechsseitige Bilanz gezogen. Das Buch ist flüssig geschrieben und liest sich gut. Die Vertrautheit des Vf. mit der französischen Geschichte fällt besonders auf. Ein europäischer Kaiser war Karl IV. allerdings sicher nicht. Sein Imperium umfasste die vier Königreiche Arelat/Burgund, Böhmen, Deutschland und Italien, das aus nord- und mittelitalienischen Gebieten bestand. Er war also viel eher ein mitteleuropäischer Herrscher. Kritisch anzumerken wäre auch, dass es den Leihezwang in der hier beschriebenen Form (S. 117) nicht gegeben hat. Das zeigt sich schon darin, dass Karl IV. die Markgrafschaften, Fahnlehen und Fürstentümer Brandenburg und Lausitz sowie die an ihn gefallenen schlesischen Herzogtümer nicht wieder vergeben, sondern einbehalten hat. Dafür wurde Karl IV. von Zeitgenossen als Minderer des Reichs kritisiert und von Peter Moraw dafür gelobt, dass er unter allen ma. römisch-deutschen Herrschern der französischen Lösung eines beständigen Ausbaus der Krondomäne bis zur Übermacht des Königs am nächsten gekommen sei. Gern wüsste man auch, welche „größten der Fürstentümer ... über weit modernere Staatsstrukturen als das Reich selbst“ (S. 117) verfügt hätten. Zum einen gehörten diese Territorien ebenso zum Reich, können diesem also nicht einfach gegenübergestellt werden. Zum anderen herrschten der Kaiser und seine nächsten Verwandten selbst in einigen der größten Herrschaftsbereiche (Böhmen, Brabant, Brandenburg, Luxemburg, Mähren, Schlesien), wären also selbst im Besitz derartiger moderner Staatlichkeit gewesen. Zum dritten ist Territorialstaatlichkeit etwas, was in die frühe Neuzeit gehört. Mit dem Reich ist im 14. Jh. gerade kein Staat zu machen. Ein wesentliches Element der kaiserlichen Herrschaft war die Urkundentätigkeit. Sein ganzes politisches Leben durchzog Karl IV. seine Reiche und vergab Privilegien und ließ Mandate und Briefe schreiben. Das bildete den Kern seiner herrscherlichen Existenz. Mehr als 10.000 dieser Texte sind erhalten. Zum Glück für uns Historiker, denn sie sind unsere Hauptquellen für die Regierung und Verwaltung des Imperiums und stellten einen wichtigen Teil der Verfassung des Reichs dar. Dieser Aspekt wird bis auf die Goldene Bulle von 1356 (S. 61–72) nur kurz gestreift (S. 144f.). Was der Herrscher dabei genau für wen tat und wozu diese Mühe nötig war, erfahren wir genauso wenig, wie die Publikationen erwähnt werden, in denen wir diese Texte finden können. Der überholte achte Band der von Alfons Huber besorgten Boehmerschen Reg. Imp. reicht dafür nicht aus, zumal dem Vf. dessen Additamentum unbekannt geblieben ist. Wären die das Reich abdeckenden (MGH Const.), Böhmen und seine Kronländer repräsentierenden (Regesta Bohemiae et Moraviae) sowie die zahlreichen regional-landesgeschichtlichen und dynastischen Editionen und Urkundenbücher genutzt worden, wäre aufgefallen, dass es beispielsweise entgegen der Aussage, „Französisch“ komme in den Urkunden „nicht vor“ (S. 144), sehr wohl französische Texte in Karls IV. Namen gibt. Seine Autobiographie, wichtige historiographische und urbariale (Landbuch der Mark Brandenburg, Salbuch der böhmischen Oberpfalz) Quellen hingegen wurden benutzt. Im Anhang werden eine Stammtafel, sechs Karten teils mit Itineraren und eine Chronologie geboten, die von 1296 bis 1440 reicht. Als Résumé lässt sich ziehen, dass das Buch, weil es zumeist nicht die notwendige Tiefe erreicht, ebenso zwiespältig erscheint wie sein Held.
Michael Lindner
(Rezensiert von: Michael Lindner)