Le registre des calenges du bailli d’Arras: 26 janvier 1362 – 4 novembre 1376, présenté par Romain Telliez (Histoire) Arras 2021, Artois Presses Univ., 324 S., ISBN 978-2-84832-498-2, EUR 19. – Nach dem Livre rouge de l’échevinage d’Abbeville (siehe oben S. ###) legt T. hier eine weitere Edition spätma. städtischer nordfranzösischer Strafrechtsquellen vor. Das Original des von zahlreichen verschiedenen Schreiberhänden auf Papier geschriebenen, 123 Blatt umfassenden Registers stammt aus dem Stadtarchiv von Arras. Es handelt sich um ein Verzeichnis strafrechtlicher Verfolgungen aus der Zeit vom 26. Januar 1362 bis zum 4. November 1376, die von der städtischen Justiz nach Anrufung (calenge) durch den bailli von Arras oder dessen lieutenant durchgeführt wurden. Jährlich fanden ca. 12–15 derartige Gerichtssitzungen statt. Da es sich um ein spezielles Register handelt, kann es allerdings nur einen Ausschnitt aus der wesentlich umfangreicheren (Gesamt-)Strafgerichtsbarkeit der Stadt wiedergeben. An den Rändern des Originals (im Editionstext nicht mit abgebildet) finden sich mitunter kleine Zeichnungen, die die verhängten Strafen illustrieren: Galgen (hängen), Schaufel (lebendig begraben bei Frauen), Besen (Verbannung). Trotz Streichungen oder, aus unbekannten Gründen, abgebrochenen Paragraphen, stellt das Register ein relativ einheitliches Ensemble dar (S. 9). Die Einträge enthalten die Namen des bailli bzw. seines lieutenant und die der an den jeweiligen Urteilen beteiligten ca. 7–10 städtischen échevins. Sie erwähnen als Beweismittel immer wieder Zeugenaussagen. Oft werden fünf oder sechs Zeugen benannt, die höchste genannte Zahl liegt bei 28. In problematischen Fällen holte die Stadt gelegentlich externe Rechtsauskünfte ein oder ließ sich beraten, z. B. von königlichen Amtsträgern, in Amiens oder in Paris. Besonders häufige Delikttypen sind: Diebstähle (40 %), besonders von geringwertigen Dingen wie Textilien, Kleidungsstücke, Geschirr, kleinere Geldsummen, aber auch Pferdediebstahl; Tötungsdelikte (oft infolge von eskalierenden Alltags-Auseinandersetzungen mit schweren Körperverletzungen; Tab. S. 22). Morde waren verhältnismäßig selten. Diebstahl galt als todeswürdiges Verbrechen. Die städtische Justiz verhängte relativ häufig Todesurteile, insgesamt 28 Mal in 15 Jahren (S. 25). Verbannungen waren ebenfalls sehr verbreitet. Etwas mehr als die Hälfte der Fälle endete mit einem Freispruch, teilweise auch aus Mangel an Beweisen. Besonders interessant sind Situationen, in denen die Angeklagten mit Hilfe von Zeugen versuchten nachzuweisen, dass sie in Notwehr zur Selbstverteidigung gehandelt hatten. Es kam dann zu Gegenklagen (sogenannten contre-plaintes). Mehrfach erwähnten Zeugen dabei bereits während des Geschehens ausgesprochene diesbezügliche Formeln, die den späteren Beweis erleichtern sollten. Ihre Aussagen vermitteln sehr aufschlussreiche Einblicke in das ma. Alltagsleben (Wohnverhältnisse, gemeinsame Benutzung von Öfen, Wirtshäuser, Marktdiebstähle, häusliche Gewalt gegen Frauen, etc.). Immer wieder nahmen Delinquenten das Kirchenasyl in Anspruch und wurden dann von eigens dazu ausgesandten Vertretern des städtischen Gerichts vor Ort befragt (z. B. dazu, ob sie sich auf Notwehr berufen wollten). Bisher sind für das spätma. Frankreich nur sehr wenige städtische Gerichtsregister ediert – was mit der schwierigen Quellenlage und, gerade für Nordfrankreich, auch mit erheblichen Zerstörungen im Ersten und Zweiten Weltkrieg zusammenhängt. Umso verdienstvoller und wichtiger ist dieses Editionsunternehmen. Es wäre sehr wünschenswert, dass solche hochinteressanten Bemühungen fortgesetzt und noch weitere bisher unedierte Schätze zu Tage gefördert werden.
Gisela Naegle
(Rezensiert von: Gisela Naegle)