Herrschaft über fremde Völker und Reiche. Formen, Ziele und Probleme der Eroberungspolitik im Mittelalter, hg. von Hermann Kamp (Vuf 93) Ostfildern 2022, Jan Thorbecke Verlag, 482 S., ISBN 978-3-7995-6893-7, EUR 55. – Der Sammelband fußt auf den Beiträgen einer Tagung des Konstanzer Arbeitskreises zur ma. Geschichte, die unter dem selben Titel im Oktober 2016 auf der Insel Reichenau stattfand. In einer programmatischen Einführung des Hg., zwölf Fallstudien und einer Zusammenfassung, die jedoch nur auf die ursprünglichen zehn Beiträge der Tagung Bezug nimmt, geht er der Bedeutung von Eroberungen während des MA nach. K. sieht in seiner Einführung (S. 9–28) die Beschäftigung mit ma. Eroberungspolitik und ihren unterschiedlichen Formen, Zielen und Problemen als Forschungsdesiderat der Mediävistik an. Dies liegt seiner Einschätzung nach unter anderem daran, dass im MA die nötigen militärischen, ökonomischen und personellen Ressourcen für weiterreichende Eroberungen und Unterwerfungen tatsächlich oftmals fehlten. Dennoch gibt es mehr als ausreichend Fallbeispiele, die eine systematische Auseinandersetzung mit dem Thema lohnend erscheinen lassen. Die nachfolgenden Artikel legen dafür ein beredtes Zeugnis ab. Zu Beginn gibt Christiane Witthöft, Der Eroberer im literarischen Urteil: Alexanders Wille und die Legitimation von Herrschaft in der mittelhochdeutschen Alexanderdichtung (‘Straßburger Alexander’ u. a.) (S. 29–61), einen Einblick in die literarische Wahrnehmung des Themas Eroberung während des MA mit Rückblick auf die Antike. – Von Bernd Kannowski, Das Recht des Eroberers im Mittelalter (S. 63–91), und Michael Grünbart, Eroberung und Herrschaft aus byzantinistischer Sicht (S. 139–176), wiederum stammen zwei wichtige Überblicksartikel, die dem Rechtsverständnis beziehungsweise dem Konzept von Eroberung einerseits im christlich-lateinischen Europa und andererseits im byzantinischen Reich nachgehen. – Zwei klassische Einzelfallstudien mit Fokus auf die Eroberungstätigkeit einer Herrscherpersönlichkeit haben Jörg Peltzer, Motivieren, legitimieren, kämpfen, inszenieren – der Kampf um die englische Krone und die Eroberung des Königreichs, 1066–1075 (S. 177-213), sowie Thomas Foerster, Guerra publica. Philipp II. Augustus von Frankreich als Eroberer (S. 291–339), vorgelegt. Die übrigen sieben Artikel verfolgen einen überwiegend komparativen Ansatz, indem entweder die Eroberungspolitik zweier Herrscher verglichen wird, wie bei Verena Epp, Chlodwig und Theoderich als Eroberer (S. 93–113), Rudolf Schieffer (†), Karl der Große und Otto der Große als Eroberer (S. 115–137), und Jörg Rogge, Heinrich II. und Eduard I. von England als Eroberer? (S. 341–368), die Eroberungen mehrerer Herrscher einer oder auch verschiedener Dynastien in einer bestimmten Region betrachtet werden, wie bei Oliver Auge, Im Zeichen des Kreuzes: Die Eroberungen dänischer Könige vom 12. bis zum 14. Jahrhundert (S. 369–410), und Lioba Geis, Tota terra inhorruit? Die Folgen der Eroberung Süditaliens für Klöster und Städte (S. 215–247), oder gar die Ausprägungen von Eroberungspolitik in zwei (Groß-)Regionen in Beziehung gesetzt werden, wie in den Beiträgen von Nikolas Jaspert, Eroberung – Rückeroberung – Glaubenskampf – Gotteskrieg. Die Levante und die Iberische Halbinsel im Vergleich (S. 249–290), und Jürgen Sarnowsky, Die Eroberung Preußens und Livlands (S. 411–441). Von Andreas Bihrer stammt zu guter Letzt eine Zusammenfassung (S. 443–465) der Vorträge und Diskussionen der Reichenauer Tagung, in der mitunter der essayistische Charakter den wissenschaftlichen dominiert. Abschließend darf man dem Hg. und den einzelnen Vf. zu diesem Sammelband aber gratulieren. Die einzelnen Artikel bieten sowohl geographisch als auch zeitlich eine beeindruckende Rundschau auf Formen, Ziele und Probleme ma. Eroberungspolitik, wobei die von K. in seiner Einführung angeregten Themenfelder sicherlich in nachfolgenden Studien bereitwillig aufgegriffen werden.
Andreas Obenaus
(Rezensiert von: Andreas Obenaus)