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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Martin Fuss, Inklusivismus und Toleranz. Das Bauprogramm und die Religionspolitik Rogers II. im theologischen Kontext des Hohen Mittelalters (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters N. F. 88) Münster 2021, Aschendorff, XII u. 506 S., ISBN 978-3-402-10303-6, EUR 68. – Das umfangreiche Buch basiert auf einer an der Julius-Maximilians-Univ. zu Würzburg im Jahr 2020 angenommenen theologischen Habil.-Schrift. So geht es hier nicht um eine Studie zur ma. Geschichte, sondern um eine Untersuchung auf dem Gebiet der Religionsgeschichte und Theologie, die im folgenden aus historischer Perspektive betrachtet werden soll. So kann nur auf einige Aspekte des vorgestellten reichen Materials kurz hingewiesen werden. Schon in der Einleitung werden zwei Hauptpunkte hervorgehoben: erstens die Frage nach religiöser Toleranz im MA, zweitens die Theologie der Religionen allgemein. Das normannische Königreich Sizilien wird hier als ein Beispiel besonders ausgeprägter religiöser Toleranz angenommen. Dieses Thema wird im ersten Kapitel (S. 21–52) entwickelt, wo auch die entsprechenden Arbeiten von Hubert Houben zitiert sind. Dann geht es in zwei Kapiteln darum, Theologie und Kunstgeschichte zu verknüpfen: Die Kathedrale von Cefalù (S. 53–96) und die Cappella Palatina (S. 97–185), was an Arbeiten wie u. a. Pierluigi Lia, L’estetica teologica di Bernardo di Chiaravalle (2007), denken lässt. Leider werden die Werke von Mirko Vagnoni (z. B. Dei gratia rex Sicilie, 2017) nicht zitiert: Dieser Kunsthistoriker hat zum ersten Mal die theologische und liturgische Rolle der im Buch zitierten normannischen Herrscherdarstellungen in Betracht gezogen. Die übrigen Kapitel sind Quellenstudien: Zuerst wird der Brief Papst Gregors VII. an den Emir An-Nāsir (S. 230–243), dann die Summa contra gentiles des Thomas von Aquin (S. 244–411) und endlich Ramon Llulls Llibre del gentil (S. 412–453) betrachtet, alle werden als eine Art theologischer Spiegel der Religionspolitik der Normannen interpretiert. Das Beispiel Süditaliens soll damit zeigen, dass eine ganz andere christliche Haltung zu Judentum und Islam möglich war, als man dem MA gemeinhin unterstellt, und diese Haltung sei in Politik, Kunst und Architektur umgesetzt worden, aber auch im theologischen Denken der Zeit finde sich ein Echo davon. Aus rein historischer Sicht scheint diese zentrale These des Buchs einerseits zu großzügig und zugleich zu vereinfachend. Zu großzügig insofern, als die Frage nach der Toleranz der Normannen keineswegs eindeutig zu beantworten ist. Schon gegen Ende der Regierung Rogers II. gibt es deutliche Anzeichen für einen Wunsch nach Christianisierung der Bevölkerung. Ein gutes Beispiel sind die berühmten mehrsprachigen Inschriften der Normannenzeit: Sprachen gibt es dort viele, aber der darin ausgedrückte Glaube ist eindeutig christlich. Der Vf. behauptet mit Recht, dass Roger II. und seine Nachfolger in ihren Beziehungen zu anderen Religionen ostentativ weit über das pragmatisch Notwendige hinausgegangen seien (S. 455). Kann das aber bedeuten, dass sie ein klares Interesse am Islam oder an der jüdischen Religion hatten? Tatsache ist, dass der Islam gegen Ende des 13. Jh. in Süditalien mit Ausnahme von Teilen Westsiziliens praktisch verschwunden war. Gleichzeitig darf man aber die „Epoche der Kreuzzüge“ auch nicht als die einer generellen abendländischen Intoleranz betrachten. Vereinfachend ist die These insofern, als die Frage nach der Rechtssicherheit von Minderheiten keineswegs auf das Königreich Sizilien begrenzt war. In der deutschrömischen „Kaiseridee“ spielt das Konzept des „Herrschers aller“ eine wichtige Rolle, wie Petrus von Eboli es sogar bildlich darstellt. Der Kaiser – Heinrich VI. und dann Friedrich II. – war der Schutzherr auch für die Muslime und Juden des Reichs. Gleichzeitig zeigte derselbe Friedrich II. sicherlich mehr Interesse an Islam und Judentum als seine normannischen Vorgänger. Schließlich – aber dazu bin ich nicht qualifiziert –: Wenn man die Theologie der Religionen als (hochinteressantes und vielversprechendes) Forschungsthema vorstellt, sollte man vielleicht auch die gleichzeitigen Entwicklungen in der islamischen Welt ins Auge nehmen.

Kristjan Toomaspoeg