DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Laura Viaut, Le Papien et la loi Gombette. Itinéraires de droit romano-barbare burgonde (VIe–IXe siècles) (Histoire du droit et des institutions) [Paris] 2021, Mare & Martin, 276 S., Abb., ISBN 978-2-84934-614-3, EUR 32. – Das Buch lässt schon am Titel erkennen, dass sich seine Vf. nicht viel um die korrekte Aufarbeitung des Forschungsstands bemüht hat. Sie benutzt durchgehend den Titel „Le Papien“, um diejenige Kompilation aus dem frühen 6. Jh. anzusprechen, die in der Regel mit dem Kunsttitel Lex Romana Burgundionum bezeichnet wird. Als Leser erfährt man nur auf S. 38, dass es sich bei Papianus um eine Verschreibung des Namens des römischen Juristen Papinianus handelt, die bereits „dem Schreiber der Handschrift“ unterlaufen sei. Seit Cujas sei dieser Titel üblich geworden. Es wird aber verschwiegen, dass es zwei Hss. sind, die diesen Titel überliefern und dass diese Fehlbezeichnung bereits vor mehr als hundert Jahren überzeugend erklärt wurde: Die burgundische Lex Romana folgte in den Hss. auf das Breviar Alarichs II., das mit einem Auszug aus den Responsa Papinians endet (der in den meisten Hss. als Papianus begegnet). Im gemeinsamen Archetyp der beiden Hss. wurde der Titel dieses letzten Teils des Breviars vermutlich auf die folgende Kompilation übertragen. Verschwiegen wird auch, dass in der dritten vollständigen Hs. die Überschrift korrekt Incipiunt capitula legis Romanae lautet und dass im Liber constitutionum auf die Kompilation als Forma et expositio legum Romanarum verwiesen wird. Auch im restlichen Buch begegnet man auf Schritt und Tritt haarsträubenden Fehlern. In der Tabelle auf S. 33f. wird die Hs. Ivrea, Bibl. capitolare, 33, als fragmentarische Überlieferung des Liber constitutionum (tit. 5) aufgeführt, obwohl er vollständig auf fol. 76r–102r enthalten ist. Die Hs. London, British Library, Egerton 269, ist ebenfalls nicht unvollständig (tit. 85‒88), weil sie eine kodikologische Einheit mit Paris, Bibl. nationale, lat. 4633, bildet, wo tit. 1‒75 enthalten sind. Nicht besser steht es um die Tabelle auf S. 46: Hier sind fast alle Angaben zur Datierung und Herkunft von Hss. falsch, weil weder der Katalog von Bischoff noch andere Hilfsmittel herangezogen wurden. In der nächsten Tabelle auf S. 58–64 begegnen plötzlich Verweise auf Bernhard Bischoff, doch mit häufig ungenauer Wiedergabe: Zur Hs. Bern, Burgerbibl., 263, schreibt Bischoff: „wahrscheinlich Oberrheingebiet (Straßburg?), Anfang 9. Jh.“, bei V. heißt es unter Berufung auf Bischoff: „Est de la Gaule, IXe siècle“. Daneben bestehen die drei Hauptkapitel über Akkulturation, Rechtsunterricht und Rechtsanwendung vor allem aus Übersetzungen aus Quellen ins Französische, die hier nicht beurteilt werden können. Im Kapitel über Rechtsunterricht werden z. B. Auszüge aus Isidors Etymologiae (De legibus und die Verwandtschaftstafel) übersetzt. Illustriert wird dies durch acht Abbildungen von Verwandtschaftsbäumen aus Hss., ohne dass jedoch das einschlägige Buch von Hermann Schadt zu den Arbores consanguinitatis (1982, vgl. DA 42, 249f.) zitiert wird. Im dritten Kapitel begegnen Übersetzungen von Urkunden und Musterdokumenten aus dem burgundischen Raum. Breiten Platz nehmen darüber hinaus zwei Anhänge ein: Der erste (S. 143–213) bietet einen parallelen Abdruck des Liber constitutionum und der Lex Romana. Überraschenderweise wird aber nicht beachtet, dass mit tit. 7 die inhaltliche Entsprechung endet, weil die Lex Romana nicht alle Rechtsgebiete des Liber constitutionum erfasst. Dies führt zu der Absurdität, dass der Abschnitt über die Gerichtsgehilfen (De apparitoribus) neben dem Titel über Vergewaltigung von Unfreien (De corruptis mulieribus) auf S. 172 steht – anstatt neben dem sachlich entsprechenden Titel De wittiscalcis im Liber constitutionum auf S. 201. Der parallele Abdruck ist folglich unbrauchbar, und man ist gut beraten, weiter auf die Konkordanz in der MGH-Edition (MGH LL nat. Germ. 2/1 S. 164‒167) zurückzugreifen. Dasselbe trifft für den zweiten Anhang (S. 215‒244) zu, der verspricht, die Quellen der Lex Romana anzuführen. Gegenüber der MGH-Edition ist der Anhang ebenso fehler- wie lückenhaft und daher ein Rückschritt. Die Arbeit wurde mit dem „Prix de la société américaine du livre, New York, 2021“ ausgezeichnet. Glückwunsch!

Karl Ubl

(Rezensiert von: Karl Ubl)