A Companion to the Abbey of Cluny in the Middle Ages, ed. by Scott G. Bruce / Steven Vanderputten (Brill’s Companions to European History 27) Leiden – Boston 2022, Brill, XV u. 393 S., Abb., ISBN 978-90-04-47013-2, EUR 119. – In der 2012 begonnenen Serie, in der bislang überwiegend europäische Städte im Fokus standen, liegt mit dem neuen Band nun ein breit angelegter Überblick zum wichtigsten monastischen Reformzentrum des europäischen MA vor. B. (Fordham Univ.) und V. (Univ. Gent) versammeln für diese Aufgabe eine Gruppe internationaler Spezialisten, die für die aktuellen Forschungsbemühungen um Cluny einsteht. Bereits die Anlage des Bandes macht anschaulich, dass es neben der chronologisch erzählten Klostergeschichte (Teil 1) um neuere kulturwissenschaftliche Zugänge zu den diversen Überlieferungen des MA geht. Auf die Frage nach cluniacensischen Identitäten (Teil 2) folgen in Teil 3 und 4 Beobachtungen zur cluniacensischen Lebenswelt innerhalb und außerhalb der Klostermauern. Der historische Überblick beginnt mit einem Beitrag zur Gründung und Frühgeschichte Clunys im 10. Jh. (Isabelle Rosé, S. 11–33). Während die umfangreiche Forschungsdiskussion um die Gründungsurkunde von 909/10 im Kontext der monastischen Reformbewegungen der Zeit eher (zu) kurz und wenig ergiebig abgehandelt wird, zeichnet die Vf. das Verhältnis der neuen Abtei zum regionalen Adel, erste Konflikte und Allianzen und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die wirtschaftliche und politische Ausrichtung Clunys ausführlicher nach. In den übrigen Abschnitten folgen Beobachtungen zum Aufbau der Ecclesia Cluniacensis (Steven Vanderputten, S. 34–49), zur Zäsur des 12. Jh. (Marc Saurette, S. 50–79) und zu den institutionellen Reformen im Spät-MA (Denyse Riche, S. 80–102). Mit der Betonung des Umbruchs nach 1100 bleibt dieser Teil im Wesentlichen der traditionellen Erzählung von Aufstieg und Blüte Clunys bis zum Tod Abt Hugos des Großen († 1109) und dem langen Niedergang bis zur Französischen Revolution verpflichtet. Neue Perspektiven vermitteln die vier folgenden Beiträge zu Identitäten. Als gewissermaßen narrative Grundlage dienen die Überlegungen zu den Heiligenviten der ersten fünf Äbte von Cluny (Steven Vanderputten, S. 105–124), in denen sich die Grundsätze der Regelinterpretation und die ekklesiologischen Vorstellungen der neuen Gemeinschaft niederschlagen. Cluniacensische Liturgie ist bereits von ma. Beobachtern wie Petrus Damiani als distinktives Merkmal der burgundischen Abtei hervorgehoben worden. Susan Boynton (S. 125–145) gelingt es in ihrem Beitrag, Frömmigkeit und Liturgie in den normativen Texten ebenso wie im monastischen Alltag anschaulich zu verorten. Dass auch Architektur identitätsstiftend sein kann, zeigt die Archäologin Anne Baud (S. 146–172) nicht nur an der monumentalen Basilika Cluny III auf, sondern an vielen Objekten, die im Zuge der von 1928 bis heute erfolgten archäologischen Sondierungen auf dem ehemaligen Klostergelände gefunden wurden. Mit dem überragenden Stellenwert des Totengedenkens innerhalb und außerhalb der cluniacensischen Gemeinschaft befasst sich Sébastien Barret (S. 173–185). Etwas überraschend vermisst man hier und im Quellenverzeichnis die wichtige Synopse der cluniacensischen Nekrologien, ed. J. Wollasch et al. (1982, vgl. DA 43, 246), in der sich jahrzehntelange Bemühungen um die Rekonstruktion der Totenbücher Clunys widerspiegeln. Mit einem Blick auf die Herrschaft der Äbte von Cluny beginnt der dritte Teil (Robert F. Berkhofer III, S. 189–203), der zugleich eine Brücke zur Frage der Identitäten zurückschlägt. Denn die besondere Struktur der Ecclesia Cluniacensis drückt sich nicht zuletzt in der überragenden Position der Äbte von Cluny aus, die ihnen schon zeitgenössisch den Vorwurf eingetragen hat, wie Könige zu regieren (Adalbero von Laon). Sehr instruktiv vermittelt Isabelle Cochelin (S. 204–222) ihre seit Jahren andauernden wissenschaftlichen Bemühungen um eine Neuedition der Consuetudines Clunys, deren Verbreitung Indikator für monastische Reformen und damit ebenfalls für Identitätskonstruktionen ist. Diese schwingen nicht zuletzt auch bei den institutionellen Reformen mit, die sich seit dem 13. Jh. in der Übernahme und charakteristischen Abwandlung des zisterziensischen Ordensmodells manifestierten (Michael Hänchen / Gert Melville, S. 223–243). Die durchaus spannungsreiche Beziehung Clunys zu religiösen Frauen und Frauenklöstern führte zu eigenen Formen von Traditionsbildung, Frömmigkeit und Ordensorganisation, wie Eliana Magnani (S. 244–264) zeigt. Das Verhältnis Clunys zur ‘Welt’ – im Sinne von J. Wollaschs grundlegender Studie „Mönchtum des Mittelalters zwischen Kirche und Welt“ (1973, vgl. DA 33, 281f.) – steht im Mittelpunkt des letzten Teils. Die ‘Welt’ wird dabei repräsentiert durch die laikalen Stifter in der adligen Umgebung Clunys (Constance B. Bouchard, S. 267–287), die Päpste (Benjamin Pohl, S. 288–305), deren Beitrag leider auf das Exemtionsproblem begrenzt wird, die Kreuzzüge (Scott G. Bruce, S. 306–321) bzw. die alte Frage des „Kreuzzugsgedankens“ (Erdmann) sowie die sozialen und materiellen Dimensionen des Reliquienkults (ders., S. 322–339). Gerade der letzte Beitrag belegt noch einmal, dass es dem Companion weniger um monographische Geschlossenheit als um die Integration neuerer und methodisch anregender Perspektiven in den alten Kosmos der Cluny-Forschung geht. Diesen Kosmos zumeist anschaulich ausgeleuchtet und an einzelnen Stellen sogar bereichert zu haben, ist das Verdienst des Bandes. Viele der Texte greifen instruktiv ineinander, so wird etwa die Frage der Identitäten auch jenseits des entsprechenden Kapitels immer wieder mit Gewinn aufgegriffen. Als gutem Begleiter für zukünftige Forschungen ist dem Band ein sorgfältiges Quellen- und Literaturverzeichnis beigegeben. Für die internationale Cluny-Forschung wird er unverzichtbar sein.
Jörg Oberste
(Rezensiert von: Jörg Oberste)