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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Istituzioni, relazioni e culture politiche nelle città tra stato della Chiesa e regno di Napoli (1350–1500 ca.), a cura di Federico Lattanzio / Pierluigi Terenzi, Reti Medievali Rivista 22,1 (2021) S. 179–412: In einer umfangreichen monographischen Sektion stellen sich die Hg. der Aufgabe, die beiden lange Zeit dominierenden historiographischen Ansätze in der Forschung zur italienischen Stadtgeschichte, die vom Nord-Süd-Paradigma geprägte dualistische Sicht und den pluralistischen Ansatz einer „individuellen“ Stadtgeschichte, unter Einbeziehung neuer Grenzraumforschungen mittels ausgewählter Fallstudien kritisch zu hinterfragen. Für die Untersuchung wurden sieben Städte im Grenzraum zwischen dem Kirchenstaat und dem Regno di Napoli ausgewählt. Eine umfangreiche Einführung (S. 179–200) erläutert die methodologische Zielsetzung mit Diskussion der aktuellen Forschungsliteratur und steckt die Themenschwerpunkte ab: politische Institutionen in den einzelnen Städten – soziale Gruppen und Eliten – städtische Parteiungen und translokale Gruppierungen – Einflüsse der Zentralpolitik auf die lokale Politik und umgekehrt – städtisches Territorium – Ausbildung einer städtischen Kultur. – Giovanni Araldi, Dinamiche politico-sociali e istituzionali in una „lontana“ città pontificia: Benevento (secoli XIV–XV) (S. 201–232), betont die Sonderstellung Benevents als päpstliche Enklave im Regno di Napoli. Die komplexe Situation schlägt sich sowohl in den Außenbeziehungen zu den Königen von Neapel als auch in einer beschränkten und relativ späten Ausbildung kommunaler Strukturen nieder, die päpstlicherseits immer durch einen vorgesetzten rector kontrolliert wurden. Der zusätzlichen Kontrollinstanz der ohne Einfluss des Kapitels immer vom Papst eingesetzten Erzbischöfe sollte in diesem dynamischen Geflecht noch breitere Aufmerksamkeit gewidmet werden. – Maria Teresa Caciorgna, Esperienze di governo tra città di frontiera nel Lazio meridionale: Terracina e Gaeta (secoli XIV–XV) (S. 233–265), vergleicht die beiden in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Städte unter dem Paradigma „echter“ Grenzstädte, die für ihre jeweilige Zentralgewalt von höchster strategischer Bedeutung waren. Im Fall von Terracina konnten die Päpste aufgrund der politischen Lage ihre Kontrollfunktion freilich nur stark begrenzt ausüben. Während die Geschichte Gaetas unter angiovinischer und aragonesischer Herrschaft weitgehend linear verlief, wechselte Terracina mehrfach die Fronten. Dennoch weisen die jeweiligen Statuten vielfältige Parallelen auf. Weitergehende Erkenntnisse über die sozialen innerstädtischen Verhältnisse werden in beiden Fällen durch starke Überlieferungsverluste der notariellen Quellen erschwert. – Tersilio Leggio, „... si civitas Reatina inter duas aquas natare proposuit …“. Un difficile equilibrio tra stato della Chiesa e regno di Napoli (secoli XIV–XV) (S. 267–294), betont die ähnliche Grenzlage Rietis. Als Besonderheiten streicht er eine gewisse Übernahme mittelitalienischer Modelle der Stadtverwaltung (vor allem Florenz), die lange Dominanz der Familie Alfani und die zunehmende Verschlechterung des Verhältnisses zum Königreich Neapel heraus, bedingt vor allem durch durchgängige Gegnerschaft und Auseinandersetzungen mit L’Aquila. – Federico Lattanzio, Norcia nello stato pontificio. Istituzioni, relazioni di potere e culture politiche nella Montagna umbra del Quattrocento (S. 295–319), arbeitet bei der Erörterung der Geschichte Norcias die verstärkte Anlehnung an nord- und mittelitalienische Vorbilder der Stadtverwaltung und die Interaktion zwischen päpstlicher Zentralgewalt und von den Päpsten unterstützten lokalen Eliten heraus. Seiner Meinung nach bilden gerade die Aushandlungsprozesse zwischen dem Herrscher und den städtischen Machtträgern eine signifikative Gemeinsamkeit der italienischen Stadtgeschichte des Spät-MA. – Francesco Pirani, Libertas, oligarchie e governo papale. Ascoli nel „lungo“ Quattrocento (1377–1502) (S. 321–353), stellt die Geschichte von Ascoli Piceno unter das Leitmotiv der libertas ecclesiastica. Dieses Motiv, das sich in der Blütezeit der kommunalen Herrschaft in der ersten Hälfte des 14. Jh. ausbildete und die städtische Autonomie bei Zusicherung der Loyalität gegenüber der päpstlichen Zentralgewalt beinhaltete, blieb aufgrund der Resilienz der städtischen Magistrate auch während der Phasen der Fremdherrschaft im späten 14. und frühen 15. Jh. dominierend. – Pierluigi Terenzi, Signori, sovrani e mercanti: una rilettura della storia politica aquilana del Tre-Quattrocento (S. 355–386), streicht bei der gut dokumentierten Stadtgeschichte von L’Aquila, das von einer kurzen Ausnahme 1485/86 abgesehen fest im Regno di Napoli integriert war, die wichtige Rolle der Kaufleute und Handwerkerkorporationen in der städtischen Verwaltung heraus. Das komplexe und immer wieder neu ausgehandelte Gleichgewicht zwischen der lokalen Elite, repräsentiert vor allem durch die Familie der Camponeschi, dem König und den Kaufleuten war bestimmend für die Geschichte der Stadt und des zugehörigen Contado im Spät-MA. – Armand Jamme / Igor E. Mineo / Francesco Senatore bieten abschließend eine umfangreiche Zusammenfassung der Fallstudien unter den vorgegebenen Fragestellungen (S. 387–412). Dabei werden die Bedeutung, aber auch die Probleme der Grenzraumforschung für die untersuchte Periode und den geographischen Raum betont, ein gewisses Übergewicht von Städten im Kirchenstaat konstatiert und weitere Fragestellungen, z. B. nach der zentralen und lokalen Finanz- und Steuerpolitik, thematisiert. Darüber hinaus wäre es interessant, die Fallbeispiele mit weiteren Städten im Binnenraum der jeweiligen Herrschaftsgebiete zu vergleichen. Stellt der Grenzraum (im Fall des Regno di Napoli handelt es sich um die einzige Landgrenze!) wirklich eine Ausnahmesituation in der Entwicklung der städtischen Kultur im südlichen Mittel- und in Süditalien dar?

Thomas Hofmann

(Rezensiert von: Thomas Hofmann)