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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Fabian Schmitt, Ministeriale des Kölner Erzstifts im Hochmittelalter. Dienst, Herrschaft und soziale Mobilität (Rheinisches Archiv 164) Wien – Köln 2021, Böhlau, 426 S., ISBN 978-3-412-52372-5, EUR 55. – Nicht alle Untersuchungen der Ministerialität eines bestimmten Raums weisen eine solche Qualität auf wie diese Bonner Diss. Sch. erhebt den Anspruch, alle zwischen 1065 und 1261 in den Quellen erscheinenden Ministerialen des Erzstifts Köln zu erfassen, und wählt als „roten Faden“ die Problematik der sozialen Mobilität. Die Quellenbasis bilden v. a. die über Regesten gut erschlossenen Urkunden der Erzbischöfe sowie die regional bedeutsamen Rechtsquellen, die beiden Kölner Dienstrechte und der Kölner Hofdienst. Entstehung und Entwicklung der Ministerialität werden mit der herrschenden Lehre als Folgen der Differenzierung der familia des Erzbischofs im Zuge der Auflösung der Villikationsverfassung beschrieben. Je spezialisierter und konkreter eine Funktion war, desto vielfacher waren die Aufstiegsmöglichkeiten und desto größer die Aufstiegswahrscheinlichkeit. Die Dienstrechte deutet Sch. als Ergebnis von Verhandlungen einer selbstbewusster werdenden Personengruppe mit dem Erzbischof. Bemerkenswert ist vor dem Hintergrund der neueren Diskussionen um das Lehnswesen die Erkenntnis, dass die lehrbuchhafte Vorstellung, Dienstlehen hätten sich zu echten Lehen entwickelt, nicht belegbar ist. Am Hof des Erzbischofs entstanden Ämter, die mit Ministerialen besetzt wurden; in der Stadt waren Bürgertum und Ministerialität keine Merkmale, die einander ausschlossen. Der Eintritt in die Ministerialität sei allerdings eine Option für wirtschaftlich bereits erfolgreiche Bürger gewesen, die zudem nicht dauerhaft sein musste. Sch. spricht von einer „Ministerialität auf Zeit“ und ist skeptisch, ob der Begriff „bürgerliche Ministerialität“ angemessen ist. Eine Einbindung der bischöflichen Ministerialen in „bürgerliche Lebenswelten“ sei kaum erkennbar. Im regionalen Umfeld werden vier Familien untersucht, die auf den Burgen Volmarstein, Alpen, Padberg und Wolkenberg saßen. Die Grundlage ihres Aufstiegs ist nicht zu erhellen, Sch. will adlige Herkunft nicht ausschließen. Ein Blick in das weitere Umfeld des Kölner Herrschaftsbereichs, nach Westfalen und in die Städte Neuss, Bonn, Andernach und Soest, ergibt ein uneinheitliches Bild. Im 13. Jh. verschwinden die Ministerialen aus den Zeugenlisten, was nicht nur mit sozialen Veränderungen, sondern auch mit einem Wandel im Urkundenwesen erklärt werden kann. Exkurse über die Terminologie, das Verhalten der Ministerialen im Thronstreit sowie Tabellen und Diagramme runden die Arbeit ab. – Sch. hat eine wichtige Studie nicht nur zur rheinischen Landesgeschichte vorgelegt. Sie bestätigt allerdings das grundsätzliche Problem solcher Untersuchungen: Die Quellenlage bietet gewöhnlich keine sichere Basis für weitreichende Thesen über Umfang, Möglichkeiten und Grenzen sozialer Mobilität. Sch. gehört zu den vorsichtigen Forschern; im Einklang mit der neueren Forschung ist er eher skeptisch, legt die quellenbedingten Grenzen seiner Ergebnisse stets offen und zieht sich in Zweifelsfällen auf die Sekundärliteratur zurück. Dies ist nachvollziehbar, lässt bei manchen Fragen aber auch Raum für andere Einschätzungen.

Werner Hechberger

(Rezensiert von: Werner Hechberger)