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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Das Interdikt in der europäischen Vormoderne, hg. von Tobias Daniels / Christian Jaser / Thomas Woelki (ZHF Beiheft 57) Berlin 2021, Duncker & Humblot, 552 S., Abb., ISBN 978-3-428-18221-3, EUR 79. – Exkommunikation wie Interdikt waren kirchliche Beugestrafen, die den Getroffenen zum Einlenken bewegen sollten. Doch während die Exkommunikation nur den Exkommunizierten selbst vom Sakramentenempfang ausschloss, führte das Interdikt zu einem „spirituellen Ausnahmezustand“ (so die Einleitung der Hg., S. 8) in größerem Rahmen, indem es zum Beispiel über eine ganze Stadt verhängt wurde. Glocken wurden nicht mehr geläutet, Kirchen geschlossen und die Heilige Messe ohne Laienbeteiligung gelesen; kirchliche Begräbnisse waren ebenso wie Eheschließungen verboten, so dass nicht nur das religiöse, sondern auch das sozial-gesellschaftliche Leben zum Erliegen kam. Dieser Form der Kollektivstrafe (die K. Hitzbleck so unnachahmlich als „zunehmend schäbiger werdende[s] kirchliche[s] Zwangsinstrument“ bezeichnet, S. 109) widmet sich der Band, der 18 Beiträge vereint. Nach einem ersten Teil, einer Einführung zum Forschungsstand und zu Forschungsperspektiven (Peter D. Clarke, S. 27–53, und Johannes Helmrath, S. 55–105), wird in einem zweiten Teil das Interdikt in seiner kanonistischen Dimension ausgelotet. Die Beiträge reichen von der Bedeutung des Gewissens beim kirchlichen Strafen (Kerstin Hitzbleck, S. 109–132) bis hin zur Position des Nikolaus Cusanus zum Interdikt (Thomas Woelki, S. 195–229) und schließen Fallstudien zur Umgehung des Interdikts durch geistliche Gemeinschaften (Katharina Ulrike Mersch, S. 157–184) ebenso ein wie die kanonistische Doktrin (Giovanni Chiodi, S. 231–262). Im Anschluss daran widmet sich der dritte Teil Beispielen von städtischen Interdikten, die perspektivisch zwischen Observanz und Widerstand verortet werden. Reims (Frederik Keygnaert, S. 265–281) und Köln (Christian Jaser, S. 283–317) sind ebenso Objekte von Fallstudien wie Venedig (Uwe Israel, S. 351–371) und die Diözese Valencia (Vicente Pons Alós, S. 331–349); anhand dieser Beispiele soll das Interdikt als „soziale Alltagspraxis“ (S. 15) erfahren werden. Der letzte Teil vereint Beiträge zur publizistischen Begleitung von Interdikten, die – verständlicherweise – zum Ausgangspunkt politischer Debatten um die Rechtmäßigkeit der Verhängung des Interdikts werden konnten. Verschiedene Interdiktsfälle, u. a. Kastilien (Carlos de Ayala Martínez, S. 375–411), Ludwig der Bayer (Martin Kaufhold, S. 413–427), Florenz (Tobias Daniels, S. 429–458) und Venedig (Jaska Kainulainen, S. 495–517), spiegeln die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wider. Literaturangaben bei den einzelnen Beiträgen wie abschließende Register zu Personen, Werken, Orten, (gelehrt-rechtlichen) Zitaten und Hss. lassen den Band sowohl zum Einstiegsband in das Thema wie zum Nachschlagewerk werden.

Stephan Dusil

(Rezensiert von: Stephan Dusil)