Knighthood and Society in the High Middle Ages, ed. by David Crouch / Jeroen Deploige (Mediaevalia Lovaniensia, Series 1: Studia 48) Leuven 2020, Leuven Univ. Press, VIII u. 317 S., Abb., ISBN 978-94-6270-170-0, EUR 59,90. – Der Vorsatz des Buchs (der erweiterten Akten einer Tagung in Gent im Jahr 2015) ist es, zu erkunden, wie sich im West- und Nordeuropa vornehmlich des 12. Jh. in Wechselwirkung mit den Traditionen, Praktiken und Normen der Adelsgesellschaft (diese, nicht die Gesellschaft als ganze ist unter „society“ zu verstehen) ein spezifischer ritterlicher Habitus herausbildete. Mit „knighthood“ bezeichnen die Hg. die praxisbezogene und soziale Seite des Phänomens („skills and lifestyle“), in Abgrenzung von der ideologischen Komponente, die in „chivalry“ angesprochen ist („ideal of conduct“, S. 25). Auf diesen Prozess richtet der Band fünf thematische Schlaglichter: Die Bedeutung von Krieg und Kampf (Teil 1) und insbesondere der Kreuzzüge (Teil 3) kommt dabei ebenso zu ihrem Recht wie Genealogie (Teil 2) und die Rolle adliger Frauen innerhalb des Diskurses von Rittertum und Adel (Teil 4). Der fünfte Teil fokussiert auf die Didaktik des Rittertums, deren Aufkommen im frühen 13. Jh. als Anzeichen einer ihrer selbst bewussten Konstruktion ritterlicher Identität („chivalric identity“), die nicht mit adliger deckungsgleich war, gedeutet wird. Die Beiträger sprechen überwiegend vor dem Hintergrund eigener rezenter Forschungen; dass dabei keine Einheitlichkeit der Zugänge und Perspektiven erreichbar war, liegt in der Natur der Sache und wird von den Hg. zugestanden (S. 23), ähnlich wie die Begrenztheit der geographischen Perspektive, die etwa Süd- und Südwesteuropa ausschließt (S. 24). Ein Durchgang durch alle Kapitel ist hier aus Raumgründen nicht möglich und vielleicht auch nicht nötig, da der redaktionell sorgfältig betreute Band über treffende Abstracts zu jedem Kapitel und über ein Namen- und Sachregister verfügt, so dass interessierende Problematiken leicht aufgesucht werden können. Exemplarisch hervorgehoben seien lediglich zwei kleine Gruppen von Aufsätzen. Die dichten, regional- bzw. lokalgeschichtlichen Fallstudien von Jean-François Nieus (S. 121–142) und Nicholas L. Paul (S. 167–191) dürften von besonderem Interesse sein, weil sie aus sorgfältiger Quellenanalyse heraus bestehende Forschungsmeinungen um wichtige Aspekte ergänzen. N. stellt am Beispiel einer Familie aus dem flandrischen Chocques die Rolle militärischer Aktivitäten für adligen Status im 11. Jh. neu zur Diskussion, während P. zeigt, wie Kreuzzugshistoriographie zur Konstruktion militärisch-ritterlicher Tugenden des adligen Stifters Manasses von Hierges († ca. 1177) genutzt wurde. Die Studien von Sara McDougall (S. 97–119) und Louise J. Wilkinson (S. 195–227) fokussieren auf die Rolle adliger Frauen im Gravitationsfeld ritterlich-adliger Identität im 12. Jh. M. wendet sich – ähnlich wie Dominique Barthélemy (S. 29–50) – gegen die Forschungen Georges Dubys und anderer Mediävisten seiner Generation, indem sie die These eines Wandels hin zu vertikalen, patrilinearen Familienstrukturen im Hoch-MA an Fallbeispielen überzeugend dekonstruiert. W. gibt einen konzisen Überblick über Idealvorstellungen von Erscheinungsbild, Verhalten und Tugenden adliger Frauen, wobei aber der Beitrag zu einem spezifisch ritterlichen Habitus (über adlige Repräsentation hinaus) weitgehend im Dunkeln bleibt. Die Rolle von Männlichkeiten bei der Konstruktion ritterlicher Identität wird in dem Band bedauerlicherweise nicht thematisiert. Die Hg. konstatieren eingangs, dass die europäische Forschung zum Rittertum von einander oftmals widersprechenden (in der Regel nationalen) Strömungen bestimmt war und Konsens in methodischer und begrifflicher Hinsicht noch immer nicht selbstverständlich ist (S. 3; 23–25). Vor diesem Hintergrund soll der Band Gespräche zwischen den verschiedenen Ansätzen sowohl dokumentieren als auch anregen. Er fasst mit breiter, wenn auch nicht umfassender Fundierung neuere Perspektiven zum hochma. Rittertum zusammen und bietet damit eine willkommene Grundlage zu dessen fortgesetzter Erforschung.
Gero Schreier
(Rezensiert von: Gero Schreier)