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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Nadine Hofmann, Herrschaftspraxis und Lehnsbeziehungen der Landgrafen von Thüringen 1382–1440 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 59) Wien / Köln 2022, Böhlau, 774 S., 3 Abb., 4 Tab., 168 Stammtafeln, ISBN 978-3-412-51936-0, EUR 90. – Das Lehnswesen galt tatsächlich schon einmal als ausgeforscht. Doch ist in dieser Hinsicht unter dem Einfluss von Susan Reynolds’ Generalkritik am etablierten Verständnis seit den 1990er Jahren wieder einiges im Fluss. Nicht zuletzt reagiert die MA-Forschung mittlerweile mit einer wachsenden Zahl von Regionalstudien auf das mehrfach formulierte Postulat, durch ebensolche Arbeiten zum „kleinen Raum“ regionale Besonderheiten des Lehnswesens auszumachen bzw. ebendiese Besonderheiten als vormals verkanntes Charakteristikum des Lehnswesens herauszuarbeiten. Zu solchen wichtigen und weiterführenden Studien ist die seitenstarke, aber auch inhaltlich gewichtige Jenaer Diss. in jedem Fall zu rechnen. Sie wurde im Wintersemester 2018/19 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Univ. angenommen und nun in bearbeiteter und erweiterter Form veröffentlicht. Ausgehend von der immer noch virulenten Generalfrage François Louis Ganshofs: „Was ist das Lehnswesen?“ geht es H. um die konkrete Bestimmung der Rolle des Lehnswesens für den Herrschaftsausbau und die Konsolidierung der Landesherrschaft unter den Landgrafen von Thüringen zwischen der Chemnitzer Teilung von 1382 und dem Tod Friedrich des Jüngeren 1440 (S. 32–37). Erfreulich stimmig eingebettet in die aktuelle Forschungsdebatte um das Lehnswesen und mit der nötigen Sensibilität für die Quellenüberlieferung sowie der wünschenswerten Anschlussfähigkeit bezüglich der angewandten Methodik versehen, beschreibt die Vf. zunächst die von ihr näher betrachteten lehnrechtlichen Quellen, um dann die Qualität der Lehnsbindung, die Herkunft und Eigenart der Lehnsleute und der Lehen sowie die Frage der Lehnserblichkeit zu thematisieren. Ausführlich widmet sie sich sodann den Lehnspflichten der Vasallen, die von grundsätzlicher Treueleistung über militärische Dienste bis zu Bürgschaft und Consilium reichten, und des Lehnsherrn. Im Anschluss werden Mehrfachvasallität, Lehnsauftragung und das Verhältnis von Dienstverträgen und Lehnsbeziehungen erörtert. Auf dieser soliden Grundlage kann H. zu ihrem Schluss kommen, dass das Lehnswesen in Thüringen als ein wirkungsvolles Mittel zur Intensivierung von Landesherrschaft diente, wobei es unter dem Eindruck starker herrschaftlicher Konkurrenz insbesondere an der westlichen Peripherie der Landgrafschaft zum Tragen kam. Die Landgrafen betrieben hier offenkundig eine gezielte, aktive Lehnspolitik, deren steinerner Ausdruck eine Art ‘Gürtel’ von Lehnsburgen war. Mit deren Hilfe konnten die Landgrafen ihre Machtansprüche signalisieren. Wieviel Kärrnerarbeit in ihrer lesenswerten Studie steckt, zeigt H. schließlich in einem wirklich beeindruckenden Personenverzeichnis der thüringischen Vasallen, das sage und schreibe 480 Seiten umfasst und mit seinen informativen Biogrammen quasi en passant ein „Who is who“ des thüringischen Lehnswesens liefert, auch wenn von der Vf. ausdrücklich keine Vollständigkeit beabsichtigt war. Ein tadelloses Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein überaus hilfreiches Ortsregister beschließen den gründlich redigierten Band, der auf seine Weise die Lehnsforschung in Deutschland gewiss beflügelt und voranbringt. Möge ihm eine breite Rezeption vergönnt sein!

Oliver Auge

(Rezensiert von: Oliver Auge)