DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

Heilige Fürstinnen und Kleriker. Lebensbeschreibungen und Wunderberichte von polnischen Heiligen des 13. und 14. Jahrhunderts, hg., übersetzt und eingeleitet von Eduard Mühle (Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 53) Darmstadt 2021, wbg Academic, 507 S., ISBN 978-3-534-27363-8, EUR 90. – Der Band versammelt neun hagiographische Texte – Viten, Wunderberichte und zwei päpstliche Bullen – zu sechs Heiligen des polnischen MA: Stanisław († 1079), Werner († 1170/72), Jacek/Hyazinth († 1257), Anna († 1265), Salomea († 1268) sowie Kinga/Kunegunda († 1292). Der Struktur der Reihe folgend wird zunächst prägnant in die ma. polnische Hagiographie eingeführt. Bezogen auf die einzelnen Heiligen werden anschließend jeweils die historische Gestalt, die Etablierung des Kults, die Lebensbeschreibungen und Wunderberichte sowie deren Autor(en), schließlich Hss. und Editionen vorgestellt. Die hagiographischen Quellen werden in einer lateinisch-deutschen Edition präsentiert; die lateinischen Texte der Lebensbeschreibungen und Wunderberichte und ihre Übersetzungen basieren auf polnischen Editionen des 19. Jh. in den Monumenta Poloniae Historica. Im Anhang finden sich u. a. eine Karte, ein Personennamen- und geographisches Register sowie ein Verzeichnis der Ethnonyme. Durch das Werk ist ein Zugang zu im polnischen Raum wirkenden Heiligen aus drei Jahrhunderten gegeben; die vorgestellten hagiographischen Quellen stammen indes aus dem 13. und 14. Jh. Unter den Heiligen begegnen, wie bereits der Titel andeutet, Fürstinnen aus dem piastischen (Salomea), árpádischen (Kinga) und přemyslidischen (Anna) Herrscherhaus, zwei Bischöfe (Stanisław und Werner) sowie ein Dominikaner (Jacek). Die Forschung zu diesen Heiligen wurde und wird von polnischen Historikern dominiert. Das Werk wird zweifellos dazu beitragen, die interessierenden Heiligen stärker in den Fokus der deutschsprachigen Mediävistik zu rücken – nicht zuletzt auch im Bereich der akademischen Lehre. Die präsentierten Quellen zeigen für das polnische MA die sozialgeschichtliche Dimension von Heiligenverehrung und Wunderglauben auf, verweisen auf die den Bischöfen zukommende bzw. ihnen zugeschriebene Bedeutung als Seelsorger, Verwalter oder Gegenüber zu ungerechten Herrschern; sie belegen die Attraktivität des im 13. Jh. neuen Modells der heiligen Fürstin und verdeutlichen den nicht zu unterschätzenden Einfluss der Franziskaner und Dominikaner auf das religiöse Leben im ma. Polen. Gleichzeitig erlauben die ausgewählten Texte vergleichende Studien – etwa zur (kirchen)politischen Verflechtungsgeschichte, zur Ordens- und Kirchengeschichte, zu Kulturtransferprozessen, zur Relevanz von Heiligenkulten für die ‘nationale’ Identitätsbildung und zur Bedeutung der Heiligenverehrung im ostmitteleuropäischen sowie im gesamteuropäischen ma. Raum. Der Band schließt somit eine wesentliche Lücke in der deutschsprachigen Forschung zum polnischen MA.

Stephan Flemmig

(Rezensiert von: Stephan Flemmig)