Agonale Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung im italienischen und deutschen Humanismus, hg. von Uwe Israel / Marius Kraus / Ludovica Sasso (Das Mittelalter, Beiheft 17) Heidelberg 2021, Heidelberg Univ. Publishing, V u. 335 S., Abb., ISBN 978-3-96822-087-1, https://doi.org/10.17885/heiup.862, EUR 52,90. – Die humanistische res publica litteraria des ausgehenden MA mochte Zeitgenossen leicht als elitärer Zirkel, der sich durch seine an den alten Sprachen geschulte Bildung definierte, und – trotz ihrer europaweiten Ausbreitung – als monolithische Gruppe erscheinen, die Menschen gleichen Interesses zusammenbrachte. Dass dies weder der tatsächlichen Konstitution einzelner Sodalitäten vor Ort entsprach noch der grenzübergreifenden humanistischen Gemeinschaft insgesamt, hat die Forschung seit langem aufgezeigt. So unterschiedlich die Eigen- und Fremdwahrnehmung von Humanisten diesseits und jenseits der Alpen auch war – kein anderes Land übte solch eine Anziehung auf Humanisten aus wie Italien, das Geburtsland der Bewegung. Auch die örtlichen Zirkel waren unterschiedlich, insbesondere hinsichtlich ihrer Größe und ihres Wirkungsradius, wenngleich sie sich häufig um einen oder wenige herausragende Intellektuelle gruppierten. Diesen Beispielen ließen sich weitere hinzufügen. Sie zeigen, dass es unausweichlich u. a. zu Konkurrenzsituationen kam – insbesondere dann, wenn es galt, einen großzügigen und finanzstarken Gönner für sich zu gewinnen. Arbeiten zum spätma.-frühneuzeitlichen Patronage- und Klientelwesen haben in den letzten Jahren vielfach darauf aufmerksam gemacht. Doch ist damit nur einer von mehreren Gründen berührt, die die Publikation des vorliegenden Bandes rechtfertigen und die darin versammelten Beiträge als deutlichen Gewinn verbuchen lassen. Schließlich führten äußere Umstände und individuelle Motive immer wieder zu Konflikten unter Humanisten, die ihre „Macht- und Geltungskonkurrenzen“ (S. 1) durch Invektiven austrugen. Diese schriftlichen Äußerungen mit bewusst beleidigendem Charakter avancierten aufgrund der „rhetorische[n] Virtuosität“ (ebd.) ihrer Autoren zu einer eigenen und gleichzeitig höchst interessanten Gattung, die im Zentrum der zwölf Beiträge steht. Es handelt sich dabei um Einzelstudien, die im Verbund ein breites Panorama zeichnen und damit ein Forschungsfeld eröffnen, das verspricht, ein besseres Verständnis für Gruppenbildungsprozesse sowie In- und Exklusionsprozesse am Übergang vom Spät-MA zur frühen Neuzeit zu gewinnen. Weiterhin zählen zu den Verdiensten des Bandes, der auf theoretischen Überlegungen des an der Univ. Dresden angesiedelten SFB 1285 fußt, die Konsequenzen, die aus den Entscheidungen der Hg. zur zeitlichen und räumlichen Ausdehnung des Themenfelds resultieren: Denn durch die Ausdehnung ins 16. Jh. wird es auch möglich, die Auswirkungen humanistischer Streitkultur in Verbindung zur reformatorischen Bewegung zu setzen, wie sie u. a. an den Beispielen Ulrichs von Hutten (Marius Kraus, S. 243–280), des altgläubigen Zisterziensers Paul Bachmann (Christian Ranacher, S. 281–306) oder von Spalatins Angriff gegen Heinrich den Jüngeren von Braunschweig (Reinhardt Butz, S. 307–332) aufgegriffen wird. Diese Verbindung ist überaus lohnend. Denn allein für Deutschland ist seit langer Zeit bekannt, dass der Streit zwischen Luther und Erasmus um die Willensfreiheit des Menschen für Konflikte nicht nur unter Reformgesinnten und Altgläubigen, sondern auch unter Humanisten sorgte. Dass aber nicht nur in fünf Beiträgen eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Humanismus stattfindet, sondern diesen auch sieben Beiträge zum italienischen Humanismus vorangestellt sind, lässt nicht nur Rückschlüsse auf Kontinuitäten und Wandel in der humanistischen Streitkultur zu, sondern verdeutlicht auch Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Dabei werden durchaus auch weniger bekannte Invektiven wie die von Gian Mario Filelfo gegen Poggio Bracciolini gerichteten (Johannes Klaus Kipf, S. 17–31) untersucht, andere in Verbindung mit aufsehenerregenden Ereignissen wie der Florentiner Pazzi-Verschwörung gesetzt (Tobias Daniels, S. 81–94). Dass dabei nicht nur schriftliche Invektiven Berücksichtigung finden, sondern auch solche aus der Malerei (Giuseppe Peterlini, S. 107–141; Jürgen Müller, S. 143–190), verdeutlicht die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen.
Christoph Galle
(Rezensiert von: Christoph Galle)