DA-Rezensionen online

Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Daniel Luger, Das ‘Königliche Gerichtsbuch’ des Michael von Pfullendorf aus den Jahren 1442 bis 1451 – Zu den Anfängen des Kammergerichts am römisch-deutschen Königshof. Einführung und Edition. Mit einem Vorwort von Bernhard Diestelkamp (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 77) Köln u. a. 2022, Böhlau, 324 S., ISBN 978-3-412-52413-5, EUR 60. – Nachdem jüngst die Überreste des Kammergerichts unter Friedrich III. ausführlich publiziert und dokumentiert worden sind (vgl. DA 63, 656f.), liegt nun ein persönliches Protokollbuch des Michael von Pfullendorf zum Kammergericht als Edition vor. Der Codex, der gut versteckt als Hs. 367 (rot) in der Stiftsbibliothek von Göttweig verwahrt wird, beinhaltet Aufzeichnungen für die Jahre 1442–1451, die Pfullendorf als Schreiber in diesem Zeitraum getätigt hat. Der Band beschreibt die Biographie Michael von Pfullendorfs, wobei vieles im Dunkeln bleiben muss, besonders die spannende Frage, ob Pfullendorf auch in Italien studiert hat. Gesichert ist jedenfalls, dass er von Beginn seiner Tätigkeit an mit dem königlichen Gerichtswesen vertraut war (S. 13). Außerdem wird die Hs., die in Deutsch und Latein geschrieben ist, sorgfältig beschrieben. Auch auf die Entstehung der Hs. wird eingegangen, so berichtet Pfullendorf selbst, dass er die in seiner Gegenwart verhandelten Prozesse in schriftlicher Form dokumentieren möchte (S. 17). Die Hs. umfasst jedoch nicht die ganze Zeit seiner Tätigkeit für den König, da er in späteren Jahren auch mit Auslandsreisen betraut war. Wichtig ist aber festzuhalten, dass Pfullendorf in Eigeninitiative handelte und seine Hs. damit als Vorläufer der Richternotizen oder Protokollbücher des Reichskammergerichts gelten kann. Pfullendorfs Notizen sind gut strukturiert und immer gleich aufgebaut: Die Sitzungen werden in chronologischer Reihe aufgenommen. Zuerst werden Datum und Ort der Gerichtssitzung in zentrierter Form wiedergegeben. Danach folgt die Nennung aller anwesenden Richter oder Beisitzer in zwei Spalten. Dabei werden die Beisitzer nach ihrem Rang aufgelistet. Zuerst handelt es sich um fürstliche oder höherrangige höfische Beisitzer, an zweiter Stelle folgen die gelehrten Juristen, u. a. Enea Silvio Piccolomini oder auch die Rektoren der Wiener Universität. Dann kommen die Aufzeichnungen zum jeweiligen Fall oder Sachverhalt, die ganz unterschiedlichen Zuschnitt besitzen. Es geht um Vorträge und Eingaben der Parteien, aber auch um gerichtsinterne Angelegenheiten, wie Kanzleibefehle und Botenberichte. Eine genaue Einordnung der 277 Prozesse, eine Erläuterung der Prozessparteien sowie der Beisitzer bietet die Textedition nicht, was die Rez. bedauert. Ein allgemeiner Kommentar zur Gattung persönlicher Aufzeichnungen von Richtern in der frühen Neuzeit hätte den Blick für eine ganze Quellengruppe, die bis jetzt kaum beachtet wurde, sehr gut erweitert. Sehr hilfreich ist dagegen ein Sitzungsverzeichnis aus den Jahren 1442–1451 sowie eine vollständige Auflistung der Verfahren. Insgesamt handelt es sich um eine sehr sorgfältige und gelungene Edition, die bei kluger Nutzung unser Wissen über das römisch-deutsche Kammergericht und die dortige Arbeit grundlegend erweitern wird. Sie ist zudem ein wichtiger Baustein für weitere Forschungen mit Protokollbüchern von Richtern aus unterschiedlichen Gerichten.

Anette Baumann

(Rezensiert von: Anette Baumann)