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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

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Laura E. Wangerin, Kingship and Justice in the Ottonian Empire, Ann Arbor 2019, Univ. of Michigan Press, XIV u. 229 S., 12 Abb., ISBN 978-0-472-13139-6, USD 75. – Anders als der Titel suggeriert, geht es in dieser Monographie nicht primär um das Verhältnis von Königsherrschaft und Gerechtigkeit. Stattdessen wird einleitend das Hauptanliegen formuliert, angeblich bezüglich der Ottonen vorherrschende Vorstellungen erfolgreicher Herrschaftsausübung zu hinterfragen (S. 4). Diese Positionen werden über Gegensätze konstruiert, die aus Perspektive der aktuellen Forschung durchaus behauptet wirken (S. 3f. konstatiert die Vf. z. B. eine „contradiction“ zwischen der Bedeutung symbolischer Verhaltensweisen und dem Fehlen einer „administrative organization“; letztlich geht es also um die vielbehandelte Frage nach der „Staatlichkeit“ ottonischer Königsherrschaft). Aufschlussreich ist der Hinweis S. 12, nach dem die Studie ursprünglich als Vergleich mit dem angelsächsischen England im 10. Jh. geplant war, der wohl tatsächlich Neues hervorgebracht hätte. So aber ist eine Art Einführung in die Kulturgeschichte des Politischen in der Ottonenzeit herausgekommen, die Handbuchwissen als Neuigkeit verkauft und nicht ganz auf der Höhe der aktuellen Forschung argumentiert. Im ersten Kapitel (S. 17–55) werden Grundlagen ottonischer Herrschaftspraxis thematisiert (konsensuale, delegierte, ambulante und dezentralisierte Herrschaft). Ausgehend von der Frage, ob es ein ottonisches Reichskirchensystem gegeben habe oder nicht (in offensichtlicher Unkenntnis der einschlägigen Studien Rudolf Schieffers), behandelt das zweite Kapitel (S. 57–86) Immunitätsverleihungen sowie die Handlungsspielräume und militärischen Pflichten von Bischöfen. Kapitel 3 (S. 87–106) widmet sich dem Verhältnis von Recht und Fehdeführung, einschließlich der Könige als beteiligter Akteure. Besonders eklatant ist die fehlende Vertrautheit mit der jüngeren Forschung in dem mit „The Idea of Kingship“ überschriebenen vierten Kapitel (S. 107–150), in dem W. behauptet, die auf Elfenbein und v. a. im Kontext liturgischer Hss. überlieferten ottonischen Herrrscherbilder seien von den Herrschern bewusst zu ihrer Sakralisierung und Legitimierung genutzt worden. Referenzpunkt der Überlegungen ist meist Kantorowicz. Die radikal anderen, inzwischen auch schon mehr als 20 Jahre alten Überlegungen insbesondere von L. Körntgen, Königsherrschaft und Gottes Gnade (vgl. DA 58, 724f.), sind W. ganz offensichtlich unbekannt. Lesenswerter ist das letzte Kapitel „The Dispensation of Justice“ (S. 151–189), das tatsächlich den titelgebenden Zusammenhang von Königsherrschaft und Gerechtigkeit u. a. anhand von zeitgenössischer Historiographie und Urkunden in den Blick nimmt (S. 171–174). Befremdlich wirken Aussagen wie die auf S. 7, nach der das ostfränkische Reich „in the tenth century“ (!) als „the ‘Western Roman Empire’“ bezeichnet worden sei, und offensichtliche Fehler im Lateinischen (S. 154: „by the iudicio“; zweimal fidelus auf S. 155). Ein ausführliches Personen-, Orts- und Sachregister beschließt den Band.

Markus Krumm

(Rezensiert von: Markus Krumm)