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Digitale Vorab-Veröffentlichung der Rezension aus DA 79,1 (2023) *.

Sie bleibt nach Erscheinen der Printausgabe online verfügbar.

W. Mark Ormrod (†): Winner and Waster and its Contexts. Chivalry, Law and Economics in Fourteenth-Century England, Woodbridge / Rochester, NY 2021, Boydell & Brewer, XI u. 189 S., ISBN 978-1-84384-581-2, GBP 60. – Das nur in einer einzigen Hs. (British Library, Additional ms. 31042) überlieferte, im dritten Viertel des 14. Jh. verfasste mittelenglische Gedicht Wynnere and Wastoure (Winner and Waster) behandelt Probleme wirtschaftlich-politischer Natur, über die in der damaligen englischen Öffentlichkeit heftig gerungen wurde. Die Personifikationen von monetärem Gewinn (mit der Neigung, Vermögen zu thesaurieren) und klugem finanziellem Taktieren einerseits (Wynnere) und Verschwendung bzw. Exzess andererseits (Wastoure) tragen ihre jeweils eigenen Standpunkte vor einem König vor, der unschwer als Edward III. zu identifizieren ist. Anders gewendet: Während Wastoure die avaritia von Wynnere beklagt, wird Wastoure selbst der superbia und gula beschuldigt. Beide Positionen geraten gleichermaßen unter Beschuss. Zwar bricht das Gedicht nach 503 Zeilen vor dem eigentlichen königlichen „Richtspruch“ ab, die (moralisierende) Stoßrichtung freilich ist klar: für gutes, weises Regieren sind die von beiden vertretenen Maximalpositionen unbrauchbar, ja schädlich. Blaupause für sinnvolles Regieren zum Wohl des gesamten Königreichs kann allein der goldene Mittelweg sein. O., der an der Univ. York lehrende und 2020 viel zu früh verstorbene Spezialist für die Geschichte des englischen Spät-MA, demonstriert in seiner in sechs Kapitel gegliederten Untersuchung, welcher Aussagewert dieser Versdichtung zukommt, in der er „clear elements of genius“ (S. 4) auszumachen vermag. War der Großteil der Forschung bisher davon ausgegangen, das Gedicht sei in den Jahren 1352/53 verfasst worden, plädiert O. für eine Abfassung in den späten 1350er bzw. den 1360er Jahren. Und er tut dies auf Grundlage einer ausgesprochen subtilen Beweisführung, die von enormer Vertrautheit mit dem einschlägigen Quellenmaterial zeugt. Das Gedicht wird mittels eines „historicist approach“ (S. 12) im Kontext der chronikalen und parlamentarischen Überlieferung der Zeit verortet. Kapitel 1 untersucht das Interesse des Autors an Rittertum und Turnieren und zeigt die Verbindung zum mit verschwenderischer Pracht gefeierten Fest des Hosenbandordens im Jahr 1358 auf (eines der „most sucessful displays of English royal propaganda in the fourteenth century“, S. 24), während im zweiten Kapitel der Blick auf Aspekte der öffentlichen Ordnung und Konfliktbeilegung gerichtet wird. (Kirchen-)Politisch wird hier nicht nur der steigende Einfluss der Bettelorden verhandelt (und kritisiert), sondern auch das päpstliche Ein- und Zugriffsrecht auf die englische Kirche. Im dritten Kapitel werden Probleme der politischen Ökonomie behandelt (insbesondere vor dem Hintergrund der gegen ostentativen Kleiderluxus gerichteten Verfügungen). Das vierte Kapitel beleuchtet die Debatte um den königlichen Haushalt unter Edward III., die in den 1350er und -60er Jahren aufbrandete. Während das fünfte Kapitel das Gedicht in die Tradition der englischen Klageliteratur des späten MA stellt, liefert das abschließende sechste Kapitel einen Kommentar zu seiner grundsätzlichen politischen Bedeutung. Den Abschluss bildet eine Übersetzung des Gedichts in modernes Englisch (S. 139–155). O. liefert überzeugende Belege für ein waches Bewusstsein gegenüber Problemen politischer Ökonomie und analysiert das im Gedicht vorgeschlagene Procedere beim Erwerb und der Verteilung von Reichtum mit Hinweisen zum rechten, verantwortungsvollen Umgang mit finanziellen Ressourcen, die so reinvestiert werden sollten, dass sowohl der einzelne als auch die Wirtschaft des Königreichs insgesamt davon profitieren könnten. Im Gedicht werden Diskussionen um das „rechte Regieren“ des Königs in Friedenszeiten (konkret: im Gefolge des Vertrags von Calais 1360) verarbeitet: Tatsächlich agierte Edward III. nach 1360 im Sinne der Überzeugungen Wynneres, hortete Geld und häufte ein exorbitantes persönliches Vermögen an. Wastoure jedoch hätte sich in einigen Aspekten der Ausgabepolitik wiedergefunden, denn dem König war klar, was von ihm verlangt wurde: die Zurschaustellung von Macht qua magnificentia. In Edward III. flossen beide eigentlich miteinander unvereinbaren Aspekte ineinander: Der König wählte die „goldene Mitte“ und erwies sich so als kluger Herrscher. Die allerletzte wissenschaftliche Arbeit von O.: ebenso klug wie stimulierend.

Ralf Lützelschwab

(Rezensiert von: Ralf Lützelschwab)