Isaac Lampurlanés Farré, Excerptum de Talmud. Study and Edition of a Thirteenth-Century Latin Translation (Contact and Transmission 1) Turnhout 2020, Brepols, 302 S., Abb., ISBN 978-2-503-58690-8, EUR 119,95. – Im Jahr 1239 übergab der getaufte französische Jude Nicholas Donin Papst Gregor IX. einen Text mit 35 Artikeln, in dem er nachzuweisen suchte, dass der Talmud blasphemischen und häretischen Inhalts sei und daher von den christlichen Autoritäten beschlagnahmt und vernichtet werden müsse. Der Aufruf des Papstes an die Herrscher in Europa, das nachbiblische Schrifttum des Judentums einer kritischen Überprüfung zu unterziehen, wurde von dem französischen König Ludwig IX. positiv beantwortet – es kam 1240 zur berüchtigten Zwangsdisputation von Paris, in der dem Ankläger Nicholas Donin zur Verteidigung des Talmuds der Rabbiner Jechiel von Paris gegenüberstand. Eine umfangreiche lateinische Teilübersetzung des Talmuds, die Extractiones de Talmud, war 1245 Folge dieses Geschehens. L. F. legt eine erste kritische Edition eines etwas später zusammengestellten Ausschnitts aus diesen Extractiones vor, das wiederum lateinisch verfasste Excerptum de Talmud, einen Text, der von der im hebräisch-aramäischen Originaltalmud vorliegenden Ordnung abweicht und das Material stattdessen thematisch gliedert. Der erste Teil bietet einen Überblick über den historischen Hintergrund der Geschehnisse, die zur Verurteilung des Talmuds und 1242 zur Verbrennung von 24 Wagenladungen von Talmudhss. auf der Pariser Place de Grève führten. Es folgt eine Analyse der hsl. Überlieferung des Excerptum (mit einem Stemma zur Abhängigkeit der Manuskripte, S. 55) und seiner Quellen. Der zweite Teil besteht aus einer Edition und englischen Übersetzung des in 14 thematische Kapitel mit entsprechenden dicta probantia (von I. De auctoritate Talmud über IV. Blasphemiae contra Deum und XI. De stultitiis iudaeorum bis zu XIV. De fabulis iudaeorum, um nur diese Beispiele zu geben) gegliederten Excerptum. Ein Fußnotenapparat verzeichnet die textkritischen Abweichungen und macht, soweit vorhanden (d. h. soweit diese Texte wirklich existieren und nicht der Fantasie der judenfeindlichen Übersetzer entsprungen sind), auf Referenzstellen im Originaltalmud sowie Bezüge zu den 35 Artikeln Nicholas Donins aufmerksam. In Kap. V (Contra christianos et ecclesiam Dei, S. 160f.) findet sich z. B. als verbum probans der Verweis auf eine Glosse, die der Übersetzer im Talmud fand, nach der ein Nichtjude (goy) mit einem Hund (canis) gleichzusetzen sei (im überlieferten Text Traktat Shabbat 18b ist diese Anmerkung nicht zu finden). Hinzu kommt im Excerptum die religionsgesetzliche Verpflichtung, beim Anblick einer zerstörten Kirche (im Original, Traktat Berachot 54a, ist von einer Stätte des Götzendienstes die Rede) die Eulogie Benedictus Deus, qui eradicavit Avoza Zara (sic! Gemeint ist Aboda Zara, hebr. Götzendienst) de terris nostris zu rezitieren (ebd.). In Kap. X (De adventu Messiae, S. 180) ist ein dem Talmudtraktat Sanhedrin (bSan 97a) entnommenes Motiv zu lesen, das sich auf eine angebliche Weissagung des biblischen Propheten Elias bezieht und unter Endzeitpropheten bis in die Reformationszeit (auch u. a. bei Melanchthon) eine interessante Wirkungsgeschichte hatte: Didicimus a domo Heliae prophetae quod sex milibus annorum durabit mundus: duobus milibus in vanitate – id est sine Lege –, duobus milibus sub Lege et duobus milibus in diebus Messiae. Der Band vermittelt einen wertvollen Einblick in die Geschichte der christlich-jüdischen Polemik im MA und in der frühen Neuzeit. Der Lesegenuss wird nur durch den überwiegend düsteren Inhalt und die Tatsache getrübt, dass die Qualität des Englischen zu wünschen übrig lässt und der Sinn mancher Ausführungen daher nur mühsam zu erschließen ist.
Matthias Morgenstern